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Adventskalender 2022

Einen Guten Rutsch ins Neue Jahr!

Die Weihnachtswoche ist vorüber, die Türchen des Adventskalenders haben sich wieder geschlossen. 

Wir freuen uns, dass euch die ersten Seiten aus dem Special Adventure »Leopardensterns Ehre« so gut gefallen haben – im März könnt ihr dann lesen, wie es weitergeht! Kommt gut ins Neue Jahr!

Eure Beltz-Stern

PS: Die Gewinner_innen des Weihnachtsgewinnspiels werden
in der zweiten Januarwoche per Mail informiert – Pfoten drücken!

Die Türen des Warrior Cats-Adventskalenders haben sich wieder geöffnet!

Auch dieses Jahr wollen wir euch eine besondere Freude bereiten und haben einen fetten Leckerbissen versteckt, auf den ihr sonst noch lange warten müsstet: Ganz exklusiv und ausführlich könnt ihr hier schon jetzt in das Special Adventure »Leopardensterns Ehre« reinschnuppern. Jeden Tag wartet hinter dem Türchen ein neuer Happen auf euch. 

Die Handlung dieses Special Adventures spielt während Staffel I und erzählt die Geschichte des spannend-zwiespältigen Charakters Leopardenstern. Ein Thema, das von euch Fans an Erin Hunter herangetragen wurde! Aber seid gewarnt – die Geschichte vom Werdegang der FlussClan-Anführerin ist nichts für zarte Katzengemüter.

Pssst: An Nikolaus und an Weihnachten könnt ihr euch auf besondere Überraschungen freuen!

[vorher-wcadventskalender-2022]

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Noch geschlossen

Zu früh!

Sei geduldig und kuschel dich nochmal in deinen Bau. Dieses Türchen ist noch verschlossen. Komm an einem späteren Tag auf deiner Patrouille wieder vorbei!

1. Dezember

 Welche Art von Anführerin will Leopardenstern sein? Eine, die den Frieden zwischen den Clans bewahrt, oder eine, die willens ist, alles für ihr eigenes Wohl zu opfern? 

Schnuppert jetzt in die exklusive Leseprobe zum neuen Special Adventure um die FlussClan-Anführerin und erfahrt, warum sie das verhängnisvolle Bündnis mit Tigerstern geschlossen hat … 


PROLOG:

Weiß leuchtete der Knochenberg im Schein des Mondes. Aufgehäufte, vom Fleisch befreite Skelette warfen sein reines Licht zurück. Für sie war das Schlimmste überstanden. Leopardenstern unterdrückte ein Frösteln. Die Kälte der Blattleere ließ sie nicht vergessen, wie deutlich sich ihr eigenes Gerippe unter dem Pelz abzeichnete. Ihr war, als würden die beutereichen Monde der Blattgrüne weit hinter ihr liegen.

Zum Silbervlies aufzuschauen, wagte sie nicht und riskierte auch keinen Blick in die Augen ihrer Clan-Gefährten. Sie hatte keine Wahl und musste alles mitansehen. Der FlussClan war jetzt Teil des TigerClans und die ehemaligen SchattenClan-Katzen waren hier auf der Lichtung in der Überzahl. Leopardenstern hatte mit dem wütenden Kater ein Abkommen getroffen. Sie mussten Tigersterns Regeln befolgen.

Steinfell stand vor dem gefährlichen Krieger, hinter ihm suchten Federpfote und Sturmpfote mit weit aufgerissenen, furchtsamen Augen Deckung. Tigerstern hielt die Wurfgefährten gefangen, weil sie Junge eines DonnerClan-Katers und einer FlussClan-Königin waren. Steinfell stand mit angelegten Ohren da und Tigerstern hatte die Augen zu schmalen Schlitzen verengt.

»Ich will dir Gelegenheit geben, deine Loyalität zum ­TigerClan zu beweisen«, erklärte ihm der dunkle Krieger. »Töte diese beiden HalbClan-Schüler.«

Leopardenstern gefror das Blut in den Adern. Tigerstern wollte sie doch ganz sicher nur verbannen! Wie konnte er einem Krieger befehlen, die eigenen Clan-Gefährten zu töten? Zumal sie noch so jung waren! Das ergab keinen Sinn. Steinfell war ebenfalls eine HalbClan-Katze. Leopardenstern spürte, wie das Grauen in ihrer Brust wuchs und wie bittere Galle in ihrer Kehle aufstieg. War es das, was der SternenClan wollte? War es der einzige Weg für die Clans, an Stärke zu gewinnen? Die Gefangenschaft hatte Steinfell geschwächt und ausgehungert, aber als er die Augen auf Leopardenstern richtete, fühlte sie sich, als ob sein Blick sich durch sie hindurchbohrte. Steinfell wandte sich an Leopardenstern. »Ich höre nur auf deinen Befehl«, knurrte er. »Und du musst wissen, dass es nicht recht ist, was er von mir verlangt. Sag du mir, was ich jetzt tun soll!«

Für einen Moment konnte Leopardenstern ihren Zweiten Anführer nur anstarren. Sag du mir, was ich jetzt tun soll! Was sollte sie antworten? Sie riskierte einen Seitenblick auf Tigerstern und erschrak über den Hass in seinen Augen. Er hasste nicht nur Steinfell, sondern auch sie. Wenn ich Nein sage, überlegte sie, wie lange werde ich dann noch leben, um meinen Clan zu schützen?

»Wir leben in schwierigen Zeiten«, antwortete sie schließlich und konnte nur mühsam verhindern, dass ihre Stimme zitterte. Wie würde Tigerstern das formulieren? Ihr war übel. »Wir leben in schwierigen Zeiten«, hob sie schließlich mit mühsam beherrschter Stimme an. »Wenn wir überleben wollen, müssen wir uns auf jeden unserer Clan-Gefährten verlassen können. Da ist kein Platz für geteilte Loyalitäten. Tu, was Tigerstern dir befiehlt.« SternenClan, vergib mir.

Steinfell hielt ihrem Blick für einen Moment stand, und sie sah, dass sich etwas in ihm verändert hatte. Während er sich eben noch voller Hoffnung an sie gewandt hatte, schien er jetzt tief enttäuscht. Er holte tief Luft und drehte sich zu den Schülern um, die sich ängstlich duckten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit nickte Steinfell den beiden kaum merklich zu, bevor er sich wieder an den TigerClan-Anführer wandte. »Vorher wirst du mich töten müssen, Tigerstern.«

2. Dezember

Leopardenstern biss die Zähne zusammen, um nicht verzweifelt aufzujaulen. Steinfell … tu das nicht!

Tigerstern funkelte den blaugrauen Kater an, sein Schwanz zuckte drohend. Er deutete auf seinen Helfershelfer Dunkelstreif. »Töte ihn.«

Leopardenstern stockte der Atem. Sie musste das verhindern. Aber sie zögerte. Wenn sie es tat, würde sie Schwäche zeigen. Sie wären wieder da, wo sie angefangen hatten: dem Fluss, dem Wald und den anderen Clans ausgeliefert. Also musste sie es geschehen lassen. Und doch wollten die Worte unbedingt hinaus. Halt! Hört sofort damit auf!, hätte sie am liebsten herausgejault, aber sie beherrschte sich. Sie durfte nicht nachgeben.

Sie konnte nur mühsam verhindern, dass sie sich duckte, Entsetzen kribbelte in jedem Haar ihres Pelzes, als sich Dunkelstreif auf Steinfell stürzte. Geschwächt und erschöpft, wie Steinfell war, schaffte er es dennoch, seinen Angreifer umzuwerfen und dem Krieger die Krallen in die Kehle zu schlagen. Stolz regte sich tief in ihrem Inneren, während sie ihren Zweiten Anführer wütend gegen den grausamen Tigerkater kämpfen sah.

Töte ihn!, dachte sie, ohne es zu wollen. Dann erschrak sie. So durfte sie nicht denken! Es musste anders ausgehen. Die HalbClan-Katzen mussten sterben. Erst dann konnte sich Tigersterns Vision eines einzigen Clans erfüllen, der alle Krieger des Waldes vereinte. Nur so würde der FlussClan die Fluten und Feuer überleben, die ihre Clan-Gefährten wie wirbelnde Krallen wieder und wieder heimgesucht hatten und sie in der Blattleere hungern ließen. Genau wie die Zweibeiner, die jede Blattleere bei ihnen einfielen und sie ausmergelten. Es war der einzige Weg in eine Zukunft. So hatte sie entschieden, als sie dem Zusammenschluss von FlussClan und SchattenClan zustimmte, um den TigerClan zu gründen.

All ihre Sinne verlangten, dass sie den Blick von den Kämpfenden abwandte, aber sie sagte sich, dass sie ihrem Zweiten Anführer schuldete, wenigstens hinzuschauen, wenn er sich opferte. Es war zum Besten des FlussClans.

»Bring es zu Ende.« Tigerstern deutete mit einem Ohrenschnippen auf Schwarzfuß und sein Zweiter Anführer schoss vor und zerrte Steinfell von Dunkelstreif. Gemeinsam stürzten sich die wilden Krieger auf den Zweiten Anführer des Fluss­Clans, und während Steinfell von Dunkelstreif am Boden festgehalten wurde, riss ihm Schwarzfuß mit den Krallen die Kehle auf.

Steinfell wehrte sich verzweifelt, dann blieb er reglos liegen, während sein Blut sich auf die Erde ergoss.

Rund um die Lichtung jaulten Tigersterns Krieger Beifall. Leopardensterns Clan-Gefährten beäugten einander misstrauisch, bevor sie einstimmten, zunächst kaum hörbar, aber bald ebenso laut wie die anderen. Nur Federpfote und Sturmpfote blieben still. Leopardenstern spürte, wie Federpfote den entsetzten Blick von Steinfells Leichnam hob und sie mit vorwurfsvollen Augen fixierte. Erst als sich die Lichtung geleert hatte, löste sich ihre dumpfe Starre allmählich. Zweifel krochen ihr durch den Pelz. Der Geruch von Steinfells Blut strömte in ihr Maul und hinterließ einen säuerlichen Geschmack auf ihrer Zunge. Sie tappte zögernd vor und blieb bei seinem Leichnam stehen.

Schmutzfell hatte sie gefragt, ob es richtig sei, sich dem TigerClan anzuschließen. Im Wald hatte es immer schon vier Clans gegeben. Warum sollten sie das ändern? Sie hatte ihm erklärt, dass sie stärker werden müssten – die Stärksten sein müssten –, und er hatte enttäuscht den Kopf gesenkt. Es gibt wichtigere Dinge, als stark zu sein. Seine Worte gingen ihr durch den Kopf, während sie sich vorbeugte und Steinfells kalten und matten Pelz mit der Nase berührte.

Was ist nur aus mir geworden? Sie war nicht immer so herzlos gewesen. Noch vor wenigen Monden hätte sie Steinfell mit ihrem Leben verteidigt. Der Gedanke bohrte sich wie ein Dorn in ihr Herz. Jede einzelne Entscheidung ihres Lebens hatte sie diesem Moment nähergebracht. Hatte sie den FlussClan auf den falschen Weg geführt?

Leopardenstern hob den Kopf. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Schmutzfell war alt. Er war schon unter Streifenstern Krieger gewesen und anschließend Heiler geworden. Er war in einer anderen Zeit auf die Welt gekommen, als der FlussClan nur eine Pfote in den Fluss tauchen musste, um einen Fisch zu fangen. Er verstand nicht, dass sich der Wald verändert hatte, dass das Leben härter geworden war – dass jetzt lauter schwierige Entscheidungen getroffen werden mussten.

Leopardenstern zog vor Kälte die Schultern nach oben, während immer mehr Wolken über das Silbervlies zogen. Der TigerClan würde seine Krieger stark machen. Sie würden nie wieder Territorium abgeben müssen. Sie würden nie wieder mit leeren Bäuchen in ihre Nester schlüpfen müssen. Andere Katzen würden sie fürchten. Wenn ihre Clan-Gefährten nicht stark genug waren, um sich der Zukunft zu stellen, die sie für sie geplant hatte, würde sie an ihrer Stelle stark sein müssen. Es war der einzige Weg, für ihre Sicherheit zu sorgen.

3. Dezember

Kapitel 1

Leopardenjunges sprang auf die Pfoten. »Ich will Verstecken spielen!«

Sie schaute sich aufgeregt nach ihren Baugefährten um. Alle lagen seit Monden nur herum. Froschjunges, Sonnenjunges und Rumpeljunges dösten im hellen Sonnenschein der Blattgrüne, nachdem sie sich die Forelle geteilt hatten, die Grauteich für sie aus dem Fluss gefischt hatte. Schwarzjunges, Himmeljunges und Schilfjunges unterzogen ihre Gesichter einer gründlichen Wäsche. Leopardenjunges langweilte sich so entsetzlich, dass sie überlegte, ob sie die große, träge Libelle fangen sollte, die hinter ihnen im Schilf summte. Ein Spiel würde allerdings viel mehr Spaß machen. Und dann kribbelte ihr Pelz aufgeregt, als sich die anderen endlich auf die Pfoten rappelten.

Wiesenjunges peitschte mit ihrem langen, getigerten Schwanz. »Ich bin die Jägerin!« Sie ließ sich auf den Bauch plumpsen und legte die Pfoten über ihre Schnauze. »Los, versteckt euch!«

»Mach ja nicht die Augen auf, Wiesenjunges!«, befahl Leopardenjunges. »Du darfst erst gucken, wenn wir uns alle versteckt haben.«

»Wenn ich die Augen nicht aufmachen darf, woher soll ich dann wissen, wann ihr euch alle versteckt habt!« Wiesenjunges miaute gedämpft durch ihre Pfoten.

Schimmerpelz flocht Weidenzweige durch das Schilf, um die Wand des Baus zu verstärken. »Ich sage dir, wann es so weit ist!«, rief sie.

Leopardenjunges peitschte über das Angebot ihrer Pflegemutter begeistert mit dem Schwanz. »Pass auf, dass sie nicht schummelt«, miaute sie.

Schimmerpelz nickte bedächtig. »Mach ich.«

»Und warte, bis ich ein gutes Versteck gefunden habe.«

»Das ist auch Schummeln!«, schnaubte Himmeljunges. »Sie darf dir nicht helfen.«

Leopardenjunges war entrüstet. »Das gilt nicht als Helfen«, miaute sie. »Sie passt bloß auf, dass Wiesenjunges die Regeln befolgt.«

Rumpeljunges blickte empört auf. »Wiesenjunges hält sich immer an die Regeln.«

»Sie schummelt noch nicht mal beim Moosball«, maunzte Schilfjunges dazwischen. »Nimm das zurück, Leopardenjunges!«

Leopardenjunges musterte sie, die drei Jungen verteidigten sich immer gegenseitig. Das taten sie, weil sie Wurfgefährten waren, nicht nur Nestgefährten. Sie fragte sich, ob Himmeljunges und Schwarzjunges auch so für sie eintreten würden, wenn Schimmerpelz ihre richtige Mutter wäre.

»Mach schon!« Froschjunges knetete mit ungeduldigen Pfoten den heißen Boden.

»Leopardenjunges passt nur auf, dass jede Katze sich an die Regeln hält«, antwortete Sonnenjunges mit einem Schwanzschnippen.

»Leopardenjunges miaut zu viel«, schimpfte Froschjunges.

»Sie kann so viel miauen, wie sie will«, konterte Sonnenjunges.

Leopardenjunges blinzelte dankbar. Sonnenjunges stand immer hinter ihr, obwohl sie weder Wurf- noch Nestgefährtinnen waren, sondern nur Freundinnen. Vielleicht waren manche Katzen einfach netter als andere. Sie kehrte Himmeljunges das Hinterteil zu. »Also los!«

Sie sauste los, flitzte über die Lichtung. Ihre Pfoten brannten von der Anstrengung. Die übrigen Jungen waren älter und größer. Wenn sie nicht alles gab, wären sie schneller als sie, und sie wollte unbedingt ein gutes Versteck finden, bevor sie ihr alle wegnahmen.

Hechtzahn blickte von den Malvenblättern auf, die er mit Brombeerblüte in der Sonne zum Trocknen ausbreitete. »Du bist ja schneller als ein Fisch!«, miaute er schnurrend, als sie vorbeiflitzte. Leopardenjunges schaute über ihre Schulter. Froschjunges und Sonnenjunges schlüpften in das Schilf neben dem Ältestenbau. Schwarzjunges war auf eine Weide geklettert, die den Kriegerbau überschattete. Rumpeljunges und Schilfjunges rannten zu den dunklen Kuhlen zwischen den Wurzeln der Weide. Himmeljunges war mitten auf der sonnigen Lichtung stehen geblieben und schaute sich um, unverkennbar auf der Suche nach einem Versteck.

»Hierher.« Leopardenjunges drehte sich nach der leise miauenden Ottersprung um. Die rotbraune Kätzin war die Mutter von Wiesenjunges, Rumpeljunges und Schilfjunges und lag mit Seeglanz vor der Kinderstube. Die Königinnen hatten sich die Zunge gegeben, während ihre Jungen spielten, aber jetzt beugte sich Ottersprung vor und winkte Leopardenjunges mit einem Nicken zu sich. Leopardenjunges eilte zu ihr. »Versteck dich hinter uns«, flüsterte Ottersprung.

Seeglanz rückte beiseite, damit Leopardenjunges zwischen ihnen hindurchschlüpfen konnte. »Wir werden so tun, als hätten wir dich nicht gesehen.«

Leopardenjunges duckte sich hinter den beiden Kätzinnen, die wieder zusammenrückten. Schimmerpelz miaute über die Lichtung. »Die Beute hat sich versteckt!«, rief sie Wiesenjunges zu. Leopardenjunges zitterte vor Aufregung. Ob Wiesenjunges sie finden würde? »Du darfst keinen Mucks von dir geben«, warnte Ottersprung flüsternd. »Wiesenjunges ist eine geschickte Jägerin.« »Und ich bin gute Beute«, miaute Leopardenjunges zurück. Seeglanz’ Pelz zuckte. »Wiesenjunges kommt auf uns zu.« Leopardenjunges hielt den Atem an und hätte nur allzu gern aus ihrem Versteck gespäht. Wiesenjunges’ Miauen ertönte vor den Königinnen: »Habt ihr Leopardenjunges gesehen?«

4. Dezember

Wir wünschen dir einen wunderbaren 2. Advent!

Ottersprung deutete mit der Schnauze auf den Heilerbau. »Hast du schon dort drüben schon gesucht?«

»Oder sie versteckt sich hinter dem Schülerbau«, fügte Seeglanz hinzu. Das Fell der Königin kitzelte Leopardenjunges an der Nase, und sie presste den Bauch fester zu Boden, um nicht zu niesen. Die heiße Sonne der Blattgrüne wärmte ihren golden getupften Pelz, und ihre Ohren waren so heiß, dass sie beinahe gezuckt hätten, während Wiesenjunges’ Pfoten vor den Königinnen hin und her tappten.

»Habt ihr sie wirklich nicht gesehen?« Wiesenjunges schien ihnen nicht zu glauben. Leopardenjunges sah mit klopfendem Herzen vor ihrem geistigen Auge, wie ihre Baugefährtin misstrauisch die Luft prüfte, und wünschte sich jetzt, sie hätte wie die anderen den fischigen Geruch des Karpfens von ihren Schnurrhaaren geputzt.

»Bestimmt nicht.« Seeglanz kräuselte den Pelz und kitzelte Leopardenjunges damit noch einmal an der Nase.

Diesmal konnte Leopardenjunges das Niesen nicht unterdrücken.

Wiesenjunges sauste um Seeglanz herum und plusterte das Fell auf, als sie Leopardenjunges entdeckte. »Du hast gelogen!« Während die Baugefährtin ihre vorwurfsvollen Augen nicht von Seeglanz abwandte, sah Leopardenjunges eine Chance zur Flucht.

Sie rannte über die Lichtung, warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, ob Wiesenjunges ihr folgte. »Das zählt erst, wenn du mich …« Sie prallte gegen ein Hindernis aus dickem Fell, verlor die Balance und plumpste zwischen vier kraftvolle Pfoten. Ein hellbrauner Bauch versperrte ihre Sicht auf den Himmel und sie rollte darunter hervor und rappelte sich auf die Pfoten. »Entschuldige, Schiefmaul!«

Der kräftige Kater blinzelte sie freundlich an. »Hast du dir wehgetan?«

Aber Leopardenjunges spähte zur Kinderstube zurück. Wiesenjunges kam auf sie zugerannt. »Wenn sie mich erwischt, habe ich verloren!«, keuchte sie.

Schiefmaul schien zu verstehen. Er packte sie beim Nackenfell und schwenkte sie auf seine Schultern. »Festhalten«, befahl er, seine tiefe Stimme vibrierte unter seinem Pelz. Leopardenjunges krallte sich in seinem dichten Fell fest, während Schiefmaul davonsprengte.

Wiesenjunges jagte ihm nach. »He!«, jaulte sie wütend. »Das gilt nicht!«

Leopardenjunges hob die Schnauze aus Schiefmauls dicker Mähne und entdeckte Himmeljunges beim Wall des Schülerbaus. Ihr braun getigerter Pelz verschmolz beinahe fast vollständig mit den Schatten, aber Leopardenjunges sah ihre grünen Augen aufblitzen.

»Himmeljunges!«, rief sie so laut sie konnte, um auch von Wiesenjunges gehört zu werden. »Ich kann dich sehen!« Sie deutete mit der Schnauze zum Schülerbau und atmete erleichtert auf, als sie sah, dass Wiesenjunges die Ohren spitzte und die Richtung änderte, auf den Schülerbau zu.

»Das ist unfair!« Leopardenjunges hörte Himmeljunges’ entrüstetes Miauen, während sie von Schiefmaul davongetragen wurde. Sie war entkommen! Sie jubelte insgeheim, aber dann blieb Schiefmaul plötzlich stehen, und sie musste sich mit den Krallen tiefer in seinem Fell festklammern, als er beim Lagerausgang abrupt stehen blieb.

»Nicht anhalten!«, jammerte sie. Und wenn Wiesenjunges jetzt doch noch hinter ihr herlief?

Aber Schiefmaul neigte schon den Kopf, um die zweite Jagdpatrouille zu begrüßen, die ins Lager strömte. Leopardenjunges’ Augen leuchteten auf, als sie ihren Vater an der Spitze sah. Schmutzfell trug einen silbern schimmernden Karpfen zwischen den Zähnen. Hinter ihm brachten Eichenherz, Käfernase und Echodunst noch mehr Beute mit.

Schmutzfell ließ den Karpfen fallen, als sein Blick auf Leo­pardenjunges fiel, seine Augen blitzten. »Das ist aber eine ziemlich fette Zecke da auf deiner Schulter«, miaute er Schiefmaul zu.

»Ich bin keine Zecke!« Leopardenjunges ließ sich von Schiefmauls Schulter gleiten. »Ich bin’s! Leopardenjunges!« Sie strich um ihn herum und schlüpfte in den kühlen Schatten unter seinem Bauch.

Er schnurrte, als sie wieder im Sonnenschein auftauchte. »Was habt ihr denn so gemacht?«, erkundigte er sich.

»Wir haben Verstecken gespielt.« Sie deutete mit der Schnauze auf den Schülerbau, wo Himmeljunges von ihrer triumphierenden Baugefährtin Wiesenjunges mit der Schnauze aus den Schatten geschupst wurde.

Himmeljunges warf Leopardenjunges einen wütenden Blick zu.

»Komm mit, Himmeljunges.« Wiesenjunges schnippte mit dem Schwanz. »Hilf mir, die anderen zu finden.« Sie manövrierte Himmeljunges Richtung Kriegerbau.

»Bist du gefangen worden?«, erkundigte sich Schmutzfell bei Leopardenjunges.

»Schiefmaul hat mir geholfen, deshalb bin ich entwischt«, miaute Leopardenjunges stolz. »Danke, Schiefmaul.«

»Du solltest sie nicht verhätscheln«, sagte Schmutzfell zu Schiefmaul. »Sie muss auf ihren eigenen vier Pfoten stehen.«

Echodunst schnurrte. »Du solltest lieber still sein, Schmutzfell.« Sie stupste seine Beute mit der Pfote an. »Wir wären noch vor Sonnenhoch zurückgekommen, wenn du nicht darauf bestanden hättest, einen Karpfen für Leopardenjunges mitzubringen.«

Leopardenjunges liebkoste Schmutzfells Schulter. »Die mag ich am liebsten«, schnurrte sie. »Danke.«

Während Schmutzfell die Liebkosung erwiderte, rief Wiesenjunges über die Lichtung: »Komm jetzt, Leopardenjunges.« Sie stand mit hocherhobenem Schwanz beim Kriegerbau, wo Schwarzjunges an der Weide hinabkletterte und Rumpeljunges und Schilfjunges zwischen den Wurzeln hervorkrochen. »Ich habe jede Katze gefunden! Schwarzjunges ist jetzt Jäger.«

Schmutzfell schnippte mit dem Schwanz. »Geh spielen, Leopardenjunges«, miaute er.

»Mach ich.« Sie blinzelte zu ihm auf, froh, dass er wieder im Lager war. »Aber pass auf, dass niemand meinen Karpfen vom Frischbeutehaufen nimmt, bis wir fertig sind!«

Als sich Leopardenjunges abwandte, hörte sie Echodunst freundlich miauen: »Du bist es, der dieses Junge verhätschelt, Schmutzfell.«

»Es scheint ihr aber nicht zu schaden«, schnurrte Schmutzfell zurück.

5. Dezember

Leopardenjunges gesellte sich zu ihren Baugefährten. Sie musterte sie, suchte in ihren Gesichtern nach Zeichen der Verärgerung, weil sie gesiegt oder Himmeljunges’ Versteck verraten hatte. »Keine Katze darf sich wieder an derselben Stelle verstecken, stimmt’s?«

»Genau.« Himmeljunges schnurrte, sie konnte es kaum abwarten, weiterzuspielen. Leopardenjunges sah erleichtert, dass ihr das hellbraun getigerte Junge offensichtlich nicht böse war. »Bist du bereit, Schwarzjunges?«

Schwarzjunges legte sich auf den Bauch und bedeckte die Schnauze mit den Pfoten.

Sonnenjunges und Froschjunges flitzten davon, auf den Ältestenbau zu. Rumpeljunges folgte Wiesenjunges und Schilfjunges, die auf das dichte Schilf am äußersten Rand des Lagers zurannten. Leopardenjunges blickte sich um und überlegte, wo sie sich verstecken könnte. Ob Jubelstern wohl etwas dagegen hatte, wenn sie sich in seinem Bau versteckte? Vielleicht würde ihr Brombeerblüte erlauben, sich im Kräuterlager zu verkriechen.

»Komm mit mir«, flüsterte Himmeljunges. »Ich weiß einen großartigen Platz.«

»Einverstanden.« Leopardenjunges’ Herz pochte schneller. Sie rannte hinter ihrer Nestgefährtin zum Schilf am Rand des Lagers. Dort war der Boden sumpfig, sie platschte bald durch flaches Wasser und Schlamm sammelte sich zwischen ihren Krallen, während Himmeljunges tiefer und tiefer ins Schilf untertauchte. Sie verlangsamte das Tempo. Schmutzfell würde böse auf sie sein, wenn er wüsste, dass sie so nah beim Fluss spielte, nachdem sie gerade erst schwimmen gelernt hatte. »Warte …«

Himmeljunges hatte sie gehört, kehrte um und watete zu ihr zurück.

Leopardenjunges sah ihre Augen wieder wütend aufblitzen. »Wir dürfen nicht so nah beim Fluss …«

Bevor sie den Satz beenden konnte, war ihr Himmeljunges mit den Vorderpfoten ins Genick gesprungen und presste ihren Kopf unter Wasser.

Wasser lief ihr in Maul und Nase. Panik strömte Leopardenjunges durch den Pelz. Sie strampelte mit den Pfoten im Wasser, wollte sich aus Himmeljunges’ Pfoten befreien. Aber Himmeljunges war zwei Monde älter und kräftiger, und plötzlich wurde Leopardenjunges klar, dass sie hilflos war. Verzweifelt um sich schlagend, widerstand sie dem instinktiven Drang Luft zu holen, während das Herz in ihrer Brust zu zerspringen drohte.

Dann ließ Himmeljunges von ihr ab.

Leopardenjunges stieß sich mit den Pfoten ab und tauchte triefend nass aus dem Wasser auf. Sie schüttelte erst den Kopf und dann ihren Körper, Wasser spritzte durchs Schilf. Sie hustete, rang nach Luft und dann funkelte sie Himmeljunges an. »Was war denn das?« Nie hätte sie gedacht, dass Himmeljunges so garstig sein könnte.

Himmeljunges funkelte zurück. »Das ist dafür, dass du Wiesenjunges mein Versteck verraten hast!«

»Ich hab das doch nur gemacht, weil sie hinter mir her war!«, protestierte Leopardenjunges. »Deshalb musst du mich doch nicht gleich ersäufen!« Das Wasser lief ihr immer noch aus der Nase und den Schnurrhaaren.

»Mach nicht so ein Drama draus«, miaute Himmeljunges spitz. »Hör auf, dich für was Besonderes zu halten, nur weil jede Katze so viel Wirbel wegen dir macht. Du benimmst dich immer noch wie ein frisch geborenes Junges! Deshalb spielen Schwarzjunges und ich auch nicht gern mit dir. Wir machen das nur, weil Schimmerpelz es von uns verlangt.«

Leopardenjunges spürte einen schmerzhaften Stich. Sie wollen gar nicht mit mir spielen? Sie spielten nur mit ihr, weil sie mussten? Sie erschrak. Das war so gemein. Sie hatte geglaubt, sie wären Freunde. »Ich sag Schimmerpelz, was du gemacht hast«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen, denn sonst hätte sie gejammert wie ein Neugeborenes. »Dann kriegst du richtig Ärger … und das geschieht dir recht!«

Himmeljunges schnaubte. »Mach doch, Leopardenjunges«, maulte sie. »Renn weg und geh petzen. So machen das alle kleinen Jungen.«

Leopardenjunges traute ihren Ohren kaum. Warum war Himmeljunges so gehässig? Sie bekam heftiges Herzklopfen.

Himmeljunges war noch nicht fertig. »Du kriegst nur eine Sonderbehandlung, weil Glanzhimmel gestorben ist«, miaute sie. »Wenn du nicht deine eigene Mutter getötet hättest, würde dich der Clan überhaupt nicht beachten.«

»Ich hab meine Mutter nicht getötet«, fauchte sie zurück und spürte, wie ihre Krallen ausfuhren.

»Da hab ich im Lager was anderes gehört.« Himmeljunges’ grüne Augen blitzten hämisch. »Ich hab gehört, dass deine Mutter krank wurde, als du geboren bist. Wovon soll sie denn krank geworden sein? Bestimmt von einem fauligen Jungen, so wird das gewesen sein!«

»Hör auf damit!« Leopardenjunges wollte Himmeljunges zum Schweigen bringen und sie auch verletzen. Sie holte aus, schlug mit ihrer Pfote nach der Schnauze der hellbraun Getigerten, aber Himmeljunges hinderte sie daran, indem sie Leopardenjunges mit ihrer eigenen Pfote eine Ohrfeige verpasst. Leopardenjunges taumelte unter der Heftigkeit des Schlages.

»Deshalb kommst du in den Wald der Finsternis«, fauchte Himmeljunges, »zu all den anderen Mörderkatzen.«

Leopardenjunges starrte sie an, plötzlich war das Wasser zu ihren Pfoten kalt wie Eis. Ihr war, als würde es sie nach unten ziehen, bis sie kaum noch auf den Pfoten stehen konnte. Himmeljunges stürmte an ihr vorbei und platschte durch das Schilf davon. Leopardenjunges öffnete das Maul, um hinter ihr herzurufen, wollte fragen, ob Himmeljunges wirklich gehört hatte, dass Katzen so schreckliche Sachen sagten. Aber die Worte kamen nicht hinaus.

Sie hatte Angst vor Himmeljunges’ Antwort.

6. Dezember
Hier folgt ein Gewinnspiel!
7. Dezember

Als die Sonne am folgenden Morgen über dem Lager aufging, spürte Leopardenjunges den Schmerz von Himmeljunges’ Worten noch immer. Sie hatten seither nicht mehr miteinander gesprochen, und am vergangenen Abend hatte sich Leopardenjunges in ihrem Nest in der warmen Lücke hinter Schimmerpelz zusammengerollt, so weit weg von Himmeljunges und Schwarzjunges, wie sie nur konnte. Es hatte ihr gut getan, ohne die lästigen Pfoten zu schlafen, die ihr in die Seite traten, und ihre albernen Schwänze, die ihr um die Ohren wedelten. Jetzt, wo sie wusste, was sie wirklich von ihr hielten, wollte sie nicht mehr in ihrer Nähe sein.

In die Schatten der Wiesen am Rand des Lagers geduckt, schaute Leopardenjunges zu, wie sie mit Rumpeljunges, Sonnenjunges und Schilfjunges Moosball spielten, während Froschjunges Wiesenjunges um den Kriegerbau herumjagte.

»Komm und spiel mit!«, rief ihr Sonnenjunges zu, während sie den Moosball hoch in die Luft schleuderte und Rumpeljunges und Schwarzjunges wetteiferten, wer höher springen konnte, um ihn zu fangen.

Leopardenjunges stopfte die Pfoten fester unter sich. Auf keinen Fall würde sie mitmachen und ihnen den Spaß verderben. Sie spähte zu Himmeljunges. Ihre Nestgefährtin sah sie an, aber als sich ihre Blicke begegneten, schaute sie schnell weg. War das ein schlechtes Gewissen da in ihrem Blick? Hoffentlich, fauchte Leopardenjunges in sich hinein.

»Jetzt komm schon.« Sonnenjunges kam angesprungen. »Mach mit! Das muss doch langweilig sein, so allein herumzusitzen.«

»Ich bin zu müde zum Spielen«, erklärte Leopardenjunges. Sie wollte Sonnenjunges den wahren Grund für ihre Weigerung nicht sagen. Sie wollte nicht wiederholen, was Himmeljunges gesagt hatte. Deshalb kommst du in den Wald der Finsternis zu all den anderen Mörderkatzen. Ihr wurde ganz heiß unter dem Pelz, wenn sie nur daran dachte.

Sonnenjunges blieb vor ihr stehen und legte den Kopf schief. »Willst du wirklich nicht?«, fragte sie.

»Ganz bestimmt nicht.« Leopardenjunges gähnte zum Schein, um Sonnenjunges zu zeigen, dass sie wirklich müde war.

Sonnenjunges musterte sie noch einen Moment, dann schnippte sie mit dem Schwanz. »Du kannst ja dazukommen, wenn du dich ausgeruht hast«, miaute sie, lief zu den anderen zurück und rannte los, als der Moosball auf sie zurollte.

Leopardenjunges schaute ihr nach, ihr Beine zuckten, denn sie wäre am liebsten aufgesprungen und hinter Sonnenjunges her gerannt – bis ihr alles wieder einfiel, was sie in der Nacht wachgehalten hatte, und sie enttäuscht den Kopf auf die Pfoten legte. Hatte Himmeljunges recht? Hatte sie wirklich ihre Mutter und ihre Wurfgefährten getötet? Schmutzfell redete eigentlich nie davon. Dachte der übrige Clan genauso über sie? Leopardenjunges spähte zu Schimmerpelz und Ottersprung, die Nestpolster aus der Kinderstube zerrten, um sie in der Sonne zu lüften. Glauben sie, dass Glanzhimmel wegen mir gestorben ist? Ihr war gesagt worden, ihre Mutter sei krank gewesen, aber keine Katze hatte je gesagt, dass ein Junges eine Königin krank machen könnte. Das hörte sich unglaublich an.

Aber warum sollte Himmeljunges so etwas sagen, wenn es nicht stimmte?

Ihre Gedanken jagten einander, wie Fische, die immer wieder im Kreis schwammen. Bin ich böse? Bei dem Gedanken wurde ihr übel. Sie wollte nicht böse sein, aber was, wenn sie nichts dagegen tun konnte? Es musste einen Grund geben, warum Glanzhimmel gestorben war. Die Mütter der anderen Jungen lebten noch. Nur ihre nicht.

»Leopardenjunges?« Schmutzfells Miauen riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und sah ihn neben sich stehen bleiben. Besorgnis lag in seinen gelben Augen. »Warum sitzt du hier ganz allein? Warum spielst du nicht mit den anderen Jungen?«

Sie blinzelte ihn an und stand auf. Er musste wissen, wie es wirklich war. Ihre Ohren zuckten nervös. Sollte sie ihn fragen, ob sie Glanzhimmel getötet hatte? Und wenn er Ja sagte?

Er blinzelte besorgt zurück. »Du hast etwas auf dem Herzen, nicht wahr?«

Sie betrachtete ihre Pfoten. »Eine Katze hat etwas Schlimmes zu mir gesagt«, miaute sie.

»Wer denn?«

»Darum geht es nicht.« Es hatte keinen Sinn, Himmeljunges anzuschwärzen. Was sie glaubte, würde der restliche Clan gewiss ebenfalls so sehen.

»Was hast du denn gehört?«, fragte Schmutzfell vorsichtig nach.

Leopardenjunges zögerte, ihr Herz schlug schneller. Sie musste es wissen. Wenn es stimmte, würde sie eben damit leben müssen und versuchen, zum Ausgleich eine ganz besonders gute Kriegerin zu werden und ihre Clan-Gefährten zu beschützen. Sie wollte nicht im Wald der Finsternis enden.

8. Dezember

Schmutzfell strich ihr sanft mit dem Schwanz über den Rücken. »Erzähl mir davon.«

Sie schaute ihm in die Augen. »Habe ich Glanzhimmel getötet?«

Seine Augen weiteten sich.

Das machte sie nervös. Das Gespräch war ihm unangenehm.

Weil es stimmte?

»Nein, Leopardenjunges«, miaute er und legte ihr die Schnauze auf den Kopf. »Natürlich hast du Glanzhimmel nicht getötet.« Er zog seine Schnauze zurück und schaute sie an. »Deine Mutter war krank …«

»Wegen mir?«

»Nein, meine Kleine. Sie war … einfach krank. Brombeerblüte konnte ihr nicht helfen. Deine Wurfgefährten sind mit ihr gestorben. Du hast an all dem keine Schuld.« Seine Augen schimmerten leicht. »Ich bin sehr dankbar, dass dich der SternenClan verschont hat.«

»Wirklich?« Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie wieder atmen konnte. Sie wusste nicht, wann sie damit aufgehört hatte. Sie suchte den Blick ihres Vaters. Er sagte die Wahrheit. Sie sah es in seinen großen, besorgten Augen.

»Ist es das, was dir die anderen Jungen vorgeworfen haben?« Schmutzfell wartete nicht auf eine Antwort. Er hatte offensichtlich erraten, warum sie ihn nach Glanzhimmel fragte. »Du solltest nicht auf sie hören«, miaute er. »Sie sind wahrscheinlich nur neidisch, weil du etwas Besonderes bist.«

»Bin ich das denn?« Leopardenjunges blickte hoffnungsvoll zu ihm auf. »Himmeljunges sagt, ich bin es nicht. Sie sagt, ich wäre bloß anders.«

»Du bist besonders«, miaute Schmutzfell. »Ich glaube, der SternenClan hat dich aus einem bestimmten Grund verschont.«

Einem Grund? Leopardenjunges’ Gedanken wirbelten. Was konnte das sein?

»Nicht lange, nachdem Glanzhimmel starb«, fuhr Schmutzfell fort, »als du noch ganz winzig warst, hatte ich einen Traum. Glanzhimmel trug mir auf, besonders gut auf dich aufzupassen, weil du eines Tages für den FlussClan sehr wichtig sein würdest.«

»Wie denn?« Leopardenjunges rutschte nervös hin und her. Der Gedanke, wichtig zu sein, gefiel ihr gut.

»Das hat sie nicht gesagt«, antwortete Schmutzfell. »Sie hat nur gesagt, dass du eines Tages für den FlussClan wichtig sein wirst. Für alle Clans«, fügte er hinzu.

»Für alle Clans?« Leopardenjunges’ Ohren zuckten überrascht. Für alle Clans wichtig zu sein, hörte sich anstrengend an.

Schmutzfells Blick war gewandert, als würde er seine verstorbene Gefährtin vor sich sehen. »Dieser Traum, zusammen mit meiner Liebe für dich, gibt mir die Kraft, weiterzumachen, obwohl ich Glanzhimmel so sehr vermisse, dass die Erinnerung immer noch schmerzt.« Er blinzelte die Traurigkeit aus seinen Augen und konzentrierte sich wieder auf Leopardenjunges. »Ich bin mir sicher, dass du uns allen eines Tages zeigen wirst, warum dich der SternenClan verschont hat.«

Leopardenjunges plusterte das Fell auf. Der SternenClan hatte sie aus einem bestimmten Grund verschont. Sie konnte kaum abwarten, Himmeljunges zu zeigen, wie sie alle Clans rettete. »Darf ich früher mit meinem Training zur Kriegerin anfangen?«, fragte sie Schmutzfell. Sie musste so viel lernen und durfte keine Zeit verlieren.

»Du bist noch zu klein.« Das Fell auf seinem Rücken kräuselte sich. »Kriegerin zu sein ist außerdem nicht so leicht, wie du denkst. Davor solltest du erst noch ein bisschen erwachsener werden.«

Ich muss aber doch die Clans retten. Leopardenjunges seufzte. Warum verstand Schmutzfell das denn nicht? Die Clans waren auf sie angewiesen. Sie bohrte ihre Krallen in den Boden. Wenn der SternenClan eine Aufgabe für sie hatte, dann musste sie so viele Kampftechniken und Jagdmethoden lernen, wie sie konnte. Sie würde die edelste, stärkste und tapferste Kriegerin werden, die der FlussClan je gesehen hatte.

9. Dezember

Kapitel 2

Leopardenjunges schüttelte das Wasser von ihren Pfoten und erschauderte. Die Trittsteine zu überqueren, war furchteinflößender gewesen, als sie sich vorgestellt hatte – sie waren so weit auseinander, und der Fluss hatte so gierig gesprudelt, als würde er hoffen, dass sie hineinfiel. Es gab aber keinen anderen Weg aus dem Lager und sie wollte nicht schwimmen. Sie huschte ins Schilf, bevor sie von einer Katze gesehen werden konnte, und hoffte, dass die anderen Jungen sich nicht fragen würden, wohin sie gegangen war.

Sie schlüpfte zwischen den Halmen hindurch, außer Sichtweite. Grauteich und Weidenbrise waren am Ufer schon bis zu den Rohrkolben gegangen und hatten sich vom Fluss entfernt. Sie hatte mitbekommen, dass sie auf der Wasserwiese Frösche jagen wollten. Wenn Schmutzfell ihr keine Jagdmethoden zeigen wollte, bevor sie zur Pfote ernannt wurde, dann würde sie sich eben selbst welche beibringen müssen. Fische würde sie noch nicht fangen können, aber Frösche jagen konnte auch nützlich sein, und sie würde ihren Mentor damit beeindrucken, was sie schon alles wusste, wenn sie mit ihrem Training begann.

Grauteich und Weidenbrise folgten einem schmalen Pfad, und Leopardenjunges schlich im Schilf hinter ihnen her, bis es an einer großen Grasfläche endete. Sie beobachtete, wie sie die Wasserwiese bis zu einer Pfütze überquerten, die in der heißen Sonne wie ein Hitzeschleier flimmerte. Sie schnupperte am Rand entlang.

Plötzlich duckte sich Grauteich, spitzte die Ohren. Weidenbrise blieb eine Schwanzlänge hinter ihr reglos stehen. Als ein Frosch in den flachen Teich hüpfen wollte, holte Grauteich aus. Leopardenjunges riss die Augen auf. Wie schnell sie war! Der Frosch war noch nicht auf dem Wasser gelandet, da hatte ihn Grauteich schon erwischt und an sich gerissen. Sie tötete ihn mit einem raschen Biss, dann setzte sie sich zurück.

»Guter Fang«, miaute Weidenbrise, aber ihre Augen suchten schon die nächste Pfütze ab.

Leopardenjunges beugte sich weiter vor, ihr Pelz kribbelte. Sie wollte versuchen, auch so zu lauern und die Pfoten vorschnellen zu lassen, wie sie es bei Grauteich gesehen hatte, aber dann würde das Schilf rascheln und die Kriegerinnen könnten sie hören. Also müsste sie später trainieren, wenn sie wieder im Lager war. Sie wusste, wenn sie es versuchte, konnte sie so schnell sein wie Grauteich – mit reichlich Übung vielleicht sogar noch schneller.

Weidenbrise schlich zum nächsten Teich. Leopardenjunges beobachtete, dass die Ohren der Kriegerin fast am Kopf anlagen, den Bauch hielt sie tief und ihr Schwanz streifte kaum das Gras. Die hellgraue Tigerkätzin bewegte immer nur eine Pfote, setzte sie vorsichtig im Gras auf und zog den Körper hinterher. Leopardenjunges versuchte, sie zu imitieren, bewegte sich so langsam und leise wie möglich durchs Schilf, Weidenbrise stets aus dem Augenwinkel beobachtend, während sie jeden ihrer vorsichtigen Schritte kopierte.

Sie konzentrierte sich so intensiv auf Weidenbrise, dass sie das Rascheln in den Halmen hinter sich kaum bemerkte. Erst als ein vertrauter Geruch über ihre Zunge glitt, schlug ihr Körper Alarm. Sie fuhr herum, als schneeweißes Fell zwischen den Halmen aufblitzte und Weißzahn das Schilf mit seinen breiten Schultern teilte.

Er blickte sie streng an. »Warum bist du nicht im Lager?«

»Entschuldigung«, miaute sie schuldbewusst. Sie deutete mit der Schnauze auf Grauteich und Weidenbrise. »Ich wollte ihnen zuschauen. Ich dachte, auf der Wiese wäre es ungefährlich, jagen zu lernen.«

Weißzahn knurrte. »Ein Junges ist überall außerhalb des Lagers in Gefahr«, brummte er. »Du weißt ja noch nicht einmal, wie du dich richtig duckst, damit du nicht gesehen wirst.«

»Aber ich versuche, es zu lernen«, miaute sie ernsthaft. »Schau her!« Sie begann wieder, Weidenbrises Anschleichtechnik zu kopieren.

Weißzahn schaute ihr zu. »Du hältst den Schwanz zu hoch.« Er tappte zu ihr. »Wenn du jagst, darf dein Schwanz niemals höher als dein Rücken sein. Sonst verrät er dich.«

Leopardenjunges ließ den Schwanz hängen. »Ist es so besser?«

»Jetzt schleift er am Boden.« Weißzahn schob die Spitze ein wenig nach oben. »So.« Er trat zurück. »Versuch’s noch einmal.«

Leopardenjunges versuchte, noch einmal zu schleichen, erinnerte sich diesmal daran, die Ohren anzulegen.

»Deine Ohren dürfen nicht zucken«, erklärte Weißzahn. »So ist es richtig. Jetzt duck dich ein bisschen tiefer. Ja, das ist gut.«

Leopardenjunges juckte der Pelz vor Aufregung. Sie trainierte wie eine richtige Pfote.

»Lass die Luft über deine Zunge streichen«, fuhr Weißzahn fort.

Leopardenjunges öffnete das Maul. Der Geruch nach nasser Erde und feuchten Stängeln strömte hinein. Zu ihrer Verwunderung stellte sie fest, dass es modriger roch als im Schilf rund um das Lager. Waren die Gerüche bei anderen auch so unterschiedlich? Eine Frage kam ihr in den Sinn. »Riecht Beute lebend genauso wie tot?«, wollte sie wissen. Sie kannte bisher nur die tote Beute, die Patrouillen von der Jagd mitbrachten.

»Das ist eine kluge Frage.« Weißzahn schien beeindruckt. »Lebende Beute riecht süßer und delikater, aber ein Frosch riecht wie ein Frosch und ein Fisch wie ein Fisch.«

»Können wir nach einem lebenden Frosch suchen, damit ich lerne, wie er riecht?« Leopardenjunges blickte hoffnungsvoll zu ihm auf.

10. Dezember

Weißzahns Augen leuchteten auf, als würde er ihren Wunsch gern erfüllen, und sie spitzte voller Erwartung die Ohren. Dann seufzte er. »Schmutzfell dreht durch, wenn er auch nur erahnt, dass ich mit dir trainiert habe«, miaute er. Er riss die Schnauze zum Lager herum. »Ich sollte dich besser nach Hause bringen.«

Leopardenjunges stemmte die Pfoten auf den sumpfigen Boden. »Können wir nicht noch ein ganz kleines bisschen trainieren?«

»Wenn Schmutzfell mitbekommt, dass du nicht im Lager bist …«

»Du könntest ihm sagen, dass ich alt genug bin, um Pfote zu werden«, bedrängte sie ihn optimistisch. »Auf dich würde er hören.«

»Schmutzfell hört auf keine Katze, wenn es um sein Junges geht«, miaute Weißzahn. »Komm jetzt. Wir müssen zurück.«

Leopardenjunges seufzte. »Wirst du ihm sagen, dass ich mich aus dem Lager geschlichen habe?«

Weißzahn schob das Schilf auseinander und bedeutete ihr, in die Lücke zu schlüpfen. »Das werde ich wohl müssen«, antwortete er. »Du riechst nach Wasserwiese.«

Leopardenjunges tappte an ihm vorbei. Sie war immer noch fest entschlossen, so viel wie möglich zu lernen, solange sie nicht im Lager war. »Riecht das Wasser auf der Wiese anders als das im Fluss?«

Er tappte hinter ihr her. »Prüf selbst die Luft«, miaute er.

Sie ließ sie über ihre Zunge strömen. Da war ein süßlicher Geruch.

Als sie das Schilf hinter sich ließen und am Flussufer entlangliefen, ergriff er wieder das Wort. »Jetzt prüf sie noch einmal.«

Sie öffnete das Maul und wunderte sich, dass sie den Unterschied erst jetzt bemerkte. »Wiesenwasser riecht nach Gras«, miaute sie. »Flusswasser riecht nach Steinen.«

»Ganz genau«, bestätigte Weißzahn. »Allerdings ändert sich das mit dem Wetter.«

»Warum?«

»Wenn es regnet und der Schlamm vom Grund des Flusses aufgewühlt ist, riecht es mehr nach Schlamm«, erklärte Weißzahn. »Und in der Blattleere ändert sich das noch einmal. Bei Kälte wird der Flussgeruch beißender und die Wiese riecht nach Torf.«

Leopardenjunges kribbelte der Pelz vor Eifer. Es gab so viel zu lernen!

Sie bemerkte kaum, dass sie die Trittsteine erreicht hatten. Bei ihrem Anblick wurde ihr mulmig. Seit Himmeljunges sie so hinterrücks angefallen hatte, fühlte sie sich beim Schwimmen viel unsicherer als vorher. Sie zitterte. Sogar jetzt, wo sie den Fluss um die Steine herum sprudeln sah, konnte sie die Panik wieder spüren, die sie erfasst hatte, als ihr das Wasser in Maul und Nase geflossen war.

Weißzahn blieb neben ihr stehen. »Wahrscheinlich ist es sicherer, wenn ich dich hinübertrage.« Er packte sie mit den Zähnen beim Nackenfell und hob sie auf. Ihre Erleichterung, nicht über die Steine springen zu müssen, wich bald heißer Scham, als er sie den ganzen Weg bis ins Lager trug.

Sonnenjunges und Froschjunges jagten einen Schmetterling über die Lichtung. Sie blieben stehen und starrten sie überrascht an, als sie von Weißzahn abgesetzt wurde.

»Wo warst du denn?«, miaute Sonnenjunges mit großen Augen.

Leopardenjunges reckte das Kinn. »Ich war spazieren.«

»Mitkommen.« Weißzahn schob sie mit dem Schwanz vorwärts. »Das erklärst du Jubelstern am besten selbst.«

Jubelstern? Sie schaute Weißzahn unsicher an. Musste er sie beim Anführer des FlussClans verpetzen? »Aber …«

»Am besten sagst du es ihm gleich«, miaute Weißzahn. Er manövrierte sie auf den Bau des Anführers zwischen den Wurzeln einer Weide zu. Leopardenjunges sträubte sich.

Weißzahn strich ihr sacht mit dem Schwanz über die Flanke. »Auf geht’s … Er wird es ohnehin erfahren. Du weißt doch, wie schnell sich Neuigkeiten im Clan verbreiten.«

Leopardenjunges fragte sich, welche Strafe sie wohl erwartete, wenn sie nicht zu Jubelstern ging. Wenn sie umdrehte und davonlief und erst wiederkam, wenn die Angelegenheit vergessen war.

Aber Weißzahn hatte recht – Jubelstern würde es sowieso erfahren. Außerdem, dachte sie, muss ich meine Clan-Gefährten davon überzeugen, dass ich bereit bin, zur Schülerin ernannt zu werden. Also muss ich mich wie eine Pfote benehmen und zeigen, dass ich Verantwortung übernehmen kann. Sie straffte sich und trabte vor ihm her, als wäre es ihr Wunsch, mit dem Anführer zu sprechen.

Schmutzfell blickte vom Frischbeutehaufen auf, als sie vorbeikamen. Er hatte sich ein Beutestück nehmen wollen. »Leopardenjunges? Wo willst du denn hin?«

Leopardenjunges spürte, wie ihr Mut sank. »Hallo, Schmutzfell.« Sie versuchte, fröhlich zu klingen. Schließlich hatte sie eigentlich gar nichts Schlimmes getan. Sie hatte bloß lernen wollen. Aber Schmutzfells fragender Blick war zu Weißzahn gewandert.

»Ist etwas passiert?«, fragte er den schneeweißen Krieger besorgt.

»Ich habe sie bei der Wasserwiese erwischt«, antwortete Weißzahn.

»Außerhalb des Lagers?« Schmutzfell eilte zu ihnen, sein Pelz sträubte sich.

»Ich bringe sie zu Jubelstern«, erklärte Weißzahn. »Dann kann sie es ihm selbst berichten.«

Leopardenjunges’ Fell kribbelte unbehaglich. »Da gibt es nicht viel zu berichten«, miaute sie. »Ich wollte doch nur lernen, wie man Frösche fängt.«

Weißzahn schob sie weiter und tappte zum Eingang von Jubelsterns Bau. Schmutzfell folgte ihnen, sie spürte seinen eindringlichen Blick auf ihrem Pelz.

»Warte hier«, befahl Weißzahn, als sie den Wurzelbau erreicht hatten, und verschwand durch den Moosvorhang vor der Höhle.

Leopardenjunges sah ihren Vater schuldbewusst an.

Besorgnis schimmerte in seinen Augen. »Beim SternenClan, was wolltest du bloß draußen vor dem Lager?«

»Es ist doch gar nichts passiert«, antwortete sie ihm. »Ich hab doch nur …«

»Komm herein, Leopardenjunges.« Jubelsterns Miauen ertönte hinter dem Moos.

Sie zögerte und Schmutzfell schickte sie mit einer Schwanzgeste hinein.

»Geh jetzt«, miaute er.

Mit nervös kribbelnden Pfoten schlüpfte sie hinein, erleichtert, als Schmutzfell folgte.

Jubelstern saß neben seinem Nest, er wirkte dunkel mit seinem grauen Pelz in dem düsteren Bau. Weißzahn stand mit ernster Miene neben ihm.

11. Dezember

Wir wünschen dir einen wunderbaren 3. Advent!

Sie wappnete sich für die zu erwartende Schelte, aber Jubelstern musterte sie nachdenklich. »Für ein kleines Junges ist es gefährlich, das Lager zu verlassen«, miaute er.

»Ich bin nicht mehr klein«, protestierte sie. »In ein oder zwei Monden bin ich alt genug, um Pfote zu werden!«

»In drei Monden«, warf Schmutzfell ein.

Jubelsterns Ohren zuckten, aber seine Miene verriet nichts. War er verärgert oder belustigt? »Ein Mond oder drei, du bist noch zu jung, um das Lager zu verlassen«, miaute er.

»Du hattest noch kein Training«, ergänzte Schmutzfell wütend. »Und du bist immer noch so klein, dass dich ein Habicht oder jeder andere Räuber leicht schnappen könnte. Du solltest dich niemals mehr als eine Schwanzlänge von einem Krieger entfernen.«

Leopardenjunges reckte empört den Schwanz in die Luft. »Das ist doch unlogisch«, miaute sie. »Wenn wir Moosball spielen, sind wir immer mehr als eine Schwanzlänge …«

»Still.« Jubelstern brachte sie mit einem Schwanzschnippen zum Schweigen. »Ein Junges verstößt gegen die Clan-Regeln, wenn es das Lager verlässt«, miaute er. »Wenn du jemals Kriegerin werden willst, musst du als Erstes lernen, Regeln zu befolgen.«

Leopardenjunges öffnete das Maul, um noch einmal zu protestieren, dann ließ sie den Blick auf die Lücke zwischen ihren Pfoten sinken. Gegen das Gesetz der Krieger durfte sie nicht protestieren.

Jubelsterns Blick wurde weich. »Es dauert nicht mehr lange, bis du mit deinem Training beginnst. Und dann wirst du dir wünschen, du dürftest ab und zu mal im Lager bleiben. Warte nur noch ein bis zwei Monde …«

»Drei Monde«, korrigierte Schmutzfell.

»Ich kann keine drei Monde warten«, klagte Leopardenjunges. »Bis dahin haben die anderen Jungen mit dem Training angefangen. Ich will nicht das letzte Junge sein, das in der Kinderstube hockt.«

Jubelstern verengte nachdenklich die Augen. »Es ist bestimmt nicht leicht, wenn ihr zusammen aufgewachsen seid …«

Schmutzfell schnitt ihm das Wort ab. »Wir sind für deine Sicherheit verantwortlich, bis du groß genug bist, um mit dem Training zu beginnen.«

»Ich kann ja extra viel Beute fressen«, miaute Leopardenjunges. »Dann werde ich so groß wie Schwarzjunges und dann müsst ihr mich zur Schülerin ernennen.«

Jubelsterns Schnurrhaare zuckten. Was war daran lustig?

»Das meine ich ernst!«, insistierte Leopardenjunges.

»Da bin ich mir sicher«, miaute Jubelstern.

Enttäuschung juckte unter Leopardenjunges’ Fell. Sie musste bald mit ihrem Training beginnen. Davon könnte die Zukunft des FlussClans abhängen. »Weißzahn würde mich jetzt schon trainieren, wenn ihr es ihm erlaubt.« Sie schaute den weißen Krieger flehend an. Er hatte ihr heute Anschleichen gezeigt. Also musste er glauben, dass sie so weit war. Außerdem war er so nett und stark, dass sie bestimmt eine Menge von ihm lernen konnte. »Weißzahn glaubt nicht, dass ich noch zu klein bin.«

Weißzahn betrachtete seine Pfoten.

»Es gibt keinen Grund zur Eile«, erklärte ihr Schmutzfell. »Du hast noch reichlich Zeit, um Kriegerin zu werden.«

»Aber du warst es doch, der mir erzählt hat, dass der SternenClan einen Grund hatte, mich zu verschonen«, widersprach sie. »Deshalb muss ich so schnell wie möglich mit meinem Training anfangen.«

Jubelstern stand auf. »Was auch immer der SternenClan für dich vorgesehen hat, kann warten«, miaute er. »Du wirst zur Schülerin ernannt, wenn ich der Meinung bin, dass du so weit bist.«

Sie bohrte die Krallen in den Boden. »Ich bin jetzt schon so weit!«

Schmutzfell schob sie mit dem Schwanz Richtung Ausgang. »Hör auf zu widersprechen, Leopardenjunges.«

»Ich widerspreche nicht. Das sind Argumente.« Sie schaute Jubelstern verzweifelt an. Verstand er denn nicht, wie viel es ihr bedeutete? »Ich muss dem FlussClan dienen … um meine Mutter zu ehren, weil sie sich geopfert hat. Bitte … lass mich nicht warten.«

Er blinzelte sie an und sie sah Wärme in seinem Blick. Habe ich ihn überzeugt?

Jubelstern wandte sich an Schmutzfell. »Was hältst du davon?«

Leopardenjunges spürte einen Stich in ihrer Brust. Würde ihr Vater dem Anführer sagen, dass er noch Zweifel hegte? Sie sah, wie Schmutzfell zu ihr hinüberschaute und ihr dann lange in die Augen blickte.

Bitte sag Ja, dachte sie verzweifelt. Bitte sag ihm, dass du glaubst, dass ich so weit bin!

Schmutzfell wandte sich wieder an seinen Anführer und neigte den Kopf. »Ich werde deine Entscheidung akzeptieren«, miaute er, »wie auch immer sie ausfällt.«

Jubelsterns Blick kehrte zu Leopardenjunges zurück. »Also gut«, sagte er. »Ich würde sagen, wir können hier eine Ausnahme machen.«

»Danke!« Leopardenjunges hatte Mühe, nicht zu laut loszuschnurren, während sie den Kopf senkte. Dann drehte sie um, tauchte unter dem hängenden Moos hindurch und musste die Augen vor der gleißenden Sonne zusammenkneifen.

Jubelstern wird noch froh sein, dass er sich so entschieden hat, dachte sie, wenn ich eines Tages eine superwichtige FlussClan-Kriegerin bin. Ihr wurde ganz warm im Bauch, wenn sie daran dachte, dass sie eine Katze mit einer Bestimmung war. Das hatte ihr Vater gesagt.

Und sie würde beweisen, dass es stimmte.

12. Dezember

»Ich bin keine Trockenpfote.« Leopardenpfote funkelte Schwarzpfote an.

»Himmelpfote sagte, du würdest nicht einmal bis zum Bauch ins Wasser gehen«, miaute er zurück.

»Das stimmt nicht«, blaffte Leopardenpfote. Der Elritzenteich war so tief gewesen, dass ihr das Wasser fast bis zu den Schultern reichte, und sie war getaucht, sodass es über ihren Rücken geschwappt war und sie triefnass ins Lager zurückkehrte.

Vor dem Schülerbau döste Himmelpfote nach ihrem Morgen im Fluss in der Sonne. Leopardenpfote konnte sehen, dass die Ohren der hellbraun Getigerten zuckten. Lauschte sie, während ihr Bruder Leopardenpfote verspottete? Du warst es doch, die ihm verraten hat, dass ich nicht schwimmen mag!

Froschpfote lag neben dem Bau im weichen Gras. Er nahm noch einen Bissen von der Forelle und kaute gemächlich, ohne den Blick von Leopardenpfote abzuwenden. »Sie ist immer noch ziemlich klein«, erklärte er Schwarzpfote. »Vielleicht hat sie Angst, dass sie von einem Hecht gefressen wird.«

Schwarzpfotes Augen funkelten hämisch. »Ich hab gehört, dass Hechte ein Junges mit einem Happs verschlingen können.«

»Ich bin kein Junges!«, miaute Leopardenpfote wütend.

»Du bist erst fünf Monde alt«, warf Froschpfote ein.

»Fast sechs!«, korrigierte Leopardenpfote. »Außerdem habe ich meinen Schülernamen schon.«

Schwarzpfotes Schnurrhaare zuckten. »Deshalb kann dich ein Hecht trotzdem verschlingen.«

Leopardenpfote drehte ihm das Hinterteil zu.

Sonnenpfote kam aus dem Schmutzplatztunnel getrabt und überquerte die Lichtung. Sie blieb bei Leopardenpfote stehen, offensichtlich hatte sie deren gekräuselten Pelz bemerkt. »Was ist denn los?«, miaute sie.

Leopardenpfote plusterte das Fell auf – sie würde nicht petzen –, aber Froschpfote antwortete für sie. »Schwarzpfote hat Trockenpfote zu ihr gesagt.« Er nahm noch einen Bissen von seiner Forelle.

Sonnenpfote riss die Schnauze zu Himmelpfote herum. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst die Klappe halten!«

Himmelpfote schaute ihre Baugefährtin mit großen, unschuldigen Augen an. »Er hat mich nur gefragt, wie das Training gelaufen ist.« Sie setzte sich auf und streckte sich. »Und ich hab nur geantwortet, dass Leopardenpfote lieber im Elritzenteich Fische fangen wollte und nicht im Fluss.«

»Das war Weißzahns Idee«, erinnerte Sonnenpfote streng.

»Und vorher hat er Leopardenpfote ins Gesicht geschaut«, miaute Himmelpfote beiläufig. »Als er sie aufgefordert hat, in den Fluss zu waten, sah sie aus, als hätte er ihr befohlen, von den Sonnenfelsen zu springen.«

Stimmt doch gar nicht. Leopardenpfote schluckte die Worte hinunter. Sie würde sich nicht auf ein Streitgespräch einlassen. Damit würde sie nur noch alberner dastehen. Aber sie musste aufhören, sich vor Wasser zu fürchten. Sie würde ihren Baugefährten zeigen, dass der SternenClan eine Bestimmung für sie hatte. Wütend ließ sie sich neben Froschpfote nieder und nahm einen Bissen von der Forelle.

»Sollten wir nicht lieber Kampftechniken trainieren?« Sie schaute auffordernd zu Weißzahn auf, neben dem sie am Flussufer stand. »Die anderen haben hier heute schon gefischt. Wahrscheinlich haben sie die besten Fische verjagt.«

Weißzahn überlegte. »Vermutlich haben wir bessere Chancen, wenn wir bis zum nächsten Sonnenaufgang warten«, pflichtete er ihr bei.

Leopardenpfote atmete erleichtert auf. Kampftechniken waren wichtig. Sie konnte ihre Angst vor dem Wasser auch morgen noch überwinden. Das würde ohnehin einfacher sein, wenn mehr Fische da waren, um sie abzulenken.

Der nächste Sonnenaufgang kam und ging. Dann noch einer und noch einer. Es gab so viel zu lernen – über das FlussClan-Territorium und Kampftechniken und -taktiken und welche Fische in welchem Teil des Flusses schwammen. Leopardenpfote entwickelte Geschick im Fangen von Fischen in flachen Teichen, wo die Fische in der Falle saßen. Anscheinend hatte Weißzahn keine Einwände, wenn sie andere Möglichkeiten fand, zu jagen, ohne sich den Pelz nass zu machen. Vielleicht freute er sich, dass sie so erfinderisch war. Er schien beeindruckt, dass sie stets die Erste war im Auffinden von schattigen Stellen beim Ufer, wo die Fische Schutz vor der Sonne fanden. Eine Bachforelle entdeckte sie sogar im trüben Wasser und war so schnell, dass sie die Beute herausgeschleudert hatte, bevor diese ihren Schatten entdecken und davonschwimmen konnte.

Während ihre Prüfung vor der Ernennung zur Kriegerin immer näher rückte, redete sie sich erfolgreich ein, dass sie am nächsten Morgen ihre Angst vor dem Fluss überwinden und einfach hineinspringen würde. Aber sie fand immer wieder eine Ausrede, es zu verschieben.

13. Dezember

»Noch mal von vorne!« Baumpelz umkreiste Leopardenpfote und Froschpfote, die auf einer Lichtung außerhalb des Lagers voreinander standen. Leopardenpfote duckte sich sprungbereit, ihre Muskeln schmerzten. Wie oft würden sie diesen Trick noch üben müssen?

»Bleib unten«, befahl ihr Baumpelz. Der dunkelbraune Kater berührte Froschpfote mit der Schwanzspitze an der Schulter. Dann boxte er Froschpfote plötzlich mit einer Pfote in die Hüfte und der graue Kater wankte und konnte nur mühsam das Gleichgewicht halten. »Du musst dich gut ausbalancieren.«

Weißzahn stand abseits und schaute zu. Leopardenpfote spürte, wie der Blick ihres Mentors über ihre Flanke glitt. Sie versuchte, nicht zu zittern, trotz der Anstrengung still zu halten, während Froschpfote wieder in Angriffsstellung ging.

»Fertig?« Baumpelz blickte von Leopardenpfote zu Froschpfote.

Beide nickten.

»Los!«

Froschpfote sprang, aber Leopardenpfote war etwas schneller und hatte sich schon auf die Hinterpfoten gestellt, als er sie erreichte. Sie schlang ihre Pfoten um seinen Hals, brachte ihn mit einem schnellen Ruck aus dem Gleichgewicht und stieß ihn von sich.

»Gut gemacht.« Baumpelz nickte ihr zu, dann bedeutete er Froschpfote, wieder in die Mitte zu kommen, und schnippte mit dem Schwanz. »Noch mal!«

Leopardenpfote blickte seufzend zu ihm auf. »Noch mal?«

»Ihr werdet so lange trainieren, bis ihr beide das perfekt beherrscht«, antwortete Baumpelz.

Leopardenpfote nickte und versuchte, nicht zu seufzen, während sie zu ihrer ursprünglichen Position zurückkehrte und sich zum wiederholten Mal fragte, wie oft sie diese Kampftricks noch üben mussten.

Eine Bestimmung zu haben, war nicht immer lustig.

»Ich habe wirklich geglaubt, dass ich es diesmal schaffe«, flüsterte Leopardenpfote besorgt zu Sonnenpfote. Sie lagen am Ende eines harten Trainingstages zusammengerollt in ihren Nestern. Mondlicht schimmerte durch das Dach aus Weidengeflecht in ihren Bau. Die übrigen Schüler schliefen schon. Das Geräusch ihrer ruhigen Atemzüge erfüllte die Luft, während draußen in der Ferne Frösche quakten und der Ruf eines Brachvogels über der Wasserwiese erschallte. Von der Enttäuschung erschöpft, legte Leopardenpfote das Kinn auf den Rand ihres Nests. »Aber ich war einfach wie gelähmt.«

»Schon wieder?« Sonnenpfote blinzelte sie mitfühlend an, ihre Bernsteinaugen leuchteten im silbernen Licht.

»Weißzahn hatte auf einen Barsch mitten im Fluss gedeutet und den wollte ich fangen. Das Wasser stand mir schon bis zum Bauch, aber ich konnte einfach nicht untertauchen.« Leo­pardenpfotes Magen verkrampfte sich. Allmählich fürchtete sie, dass sie niemals den Mut finden würde, wie die anderen FlussClan-Krieger zu schwimmen. Wie sollte sie da ihren Clan retten?

»War Weißzahn sauer?«, fragte Sonnenpfote.

»Nein.« Allmählich kam Leopardenpfote der Gedanke, dass ihr Mentor einfach die Hoffnung aufgegeben hatte, dass sie jemals schwimmen würde. »Er hat mir einfach eine kleine Forelle nah am Rand gezeigt, die ich erreichen konnte. Er klang ziemlich enttäuscht.«

»Wäre es einfacher, wenn er nicht zuschauen würde?«, wollte Sonnenpfote wissen.

»Keine Ahnung.« Weißzahn war so nett und geduldig, weshalb sie sich nicht vorstellen konnte, dass er ein Problem war. Es fehlte ihr einfach der Mut.

14. Dezember

Leopardenpfote sah Himmelpfote und Schwarzpfote ein verschmutztes altes Nest aus dem Ältestenbau zerren. Sie war erleichtert, dass sie keine Säuberungsaufgaben bekommen hatte. Sie war an jenem Morgen früh aufgewacht und schon mit Rumpelpfote und Wiesenpfote im Schilf unterwegs, um  Frösche zu jagen, als Muschelherz die Aufgaben für den Tag verteilte.

Froschpfote kam angetappt. »Meinst du nicht, wir sollten ihnen helfen?«, fragte er.

»Lass uns erst etwas fressen«, miaute Leopardenpfote. Sie konnte nichts dafür, dass die beiden so spät aufgewacht waren. Außerdem knurrte ihr Magen vor Hunger. Sie tappte zum Frischbeutehaufen, aber Schilfpfote trug bereits eine große Brasse zum Schülerbau. Er ließ sie draußen fallen und winkte sie mit dem Schwanz heran. »Die können wir uns teilen«, rief er.

Leopardenpfote eilte zu ihm, dicht gefolgt von Froschpfote. Die Brasse roch frisch und lecker. Das Wasser lief Leo­pardenpfote im Maul zusammen, sie beugte sich vor, um hineinzubeißen.

»Leopardenpfote!« Sonnenpfotes Miauen ließ sie herumwirbeln. Die Freundin kam angerannt. »Du musst mitkommen.« Sie scheuchte Leopardenpfote von der Brasse weg.

»Ich hab doch Hunger«, klagte Leopardenpfote mit einem Seitenblick auf den Fisch.

»Wenn du nicht mit mir kommst, verpasst du die Mahlzeit deines Lebens.«

Leopardenpfote riss die Augen auf. »Was meinst du damit?«

»Mir nach«, befahl Sonnenpfote.

Neugierig geworden, folgte sie ihrer Freundin aus dem Lager und am Ufer entlang zu der Stelle, wo der Fluss breiter und langsamer wurde, bevor er in die Schlucht hinabfiel.

Sonnenpfote blieb stehen und spähte über das grüne Wasser. Leopardenpfote folgte ihrem Blick. Karpfengeruch stieg ihr in die Nase und sie sah einen dicken, glänzenden Fisch am anderen Ufer liegen.

»Karpfen ist dein Lieblingsfisch, nicht wahr?«, fragte Sonnenpfote.

Leopardenpfote leckte sich mit der Zunge das Maul. »Unbedingt.«

»Gut.« Sonnenpfote schaute sie an. »Das da drüben ist mein Fang, aber wenn du hinüberschwimmst, gebe ich dir die Hälfte ab.«

Leopardenpfote erstarrte. Sie konnte sich denken, was die Freundin im Sinn hatte: Sonnenpfote hatte dies hier mit viel Mühe vorbereitet und war bereit, ihren Karpfen mit ihr zu teilen. Aber es wäre viel einfacher, ins Lager zurückzukehren und mit Froschpfote und Schilfpfote Brasse zu fressen. Sie sah die hellgraue Kätzin fragend an. »Darf ich es später versuchen?«, miaute sie hoffnungsvoll.

»Später schmeckt der Karpfen nicht mehr so gut«, antwortete Sonnenpfote.

Außerdem bist du dann von mir enttäuscht. Leopardenpfote warf noch einen Blick auf den Karpfen. Ein Reiher stand ein paar Schwanzlängen flussaufwärts auf einem Stein. Sollte der Reiher entdeckten, dass der Karpfen unbewacht dort lag, würde er hinfliegen und ihn stehlen.

Sonnenpfote spähte zu dem Reiher und dann zu Leopardenpfote. »Wenn du dich nicht beeilst, haben wir beide verloren«, miaute sie. Ihre Stimmte erinnerte sie daran, wie Weißzahn reagiert hatte, als ihr einmal der Mut gefehlt hatte, zur Mitte des Flusses zu schwimmen, um einen Barsch zu fangen.

Leopardenpfote fühlte sich jetzt nicht mutiger als damals. Sie war davon überzeugt, dass sie ertrinken würde, bevor sie das andere Ufer erreicht hatte, wenn sie jetzt hineinsprang. Wasser würde ihr in Maul und Nase laufen und sie würde keine Luft mehr bekommen. Ihr Herz trommelte wie ein gefangener Dachs in ihrer Brust.

Sonnenpfote gab ihr einen Schubs Richtung Wasserrand. »Tu’s einfach.«

15. Dezember

Tu’s einfach. Sonnenpfote beobachtete sie mit großen, hoffnungsvollen Augen. Der Reiher bewegte sich auf seinem Stein. Sein Blick glitt am Ufer entlang. »Also gut.« Leopardenpfote holte tief Luft. Wenn ich jetzt sterbe, dann ist das eben so. Ertrinken war vielleicht besser, als bis zum Ende ihres Lebens eine FlussClan-Kriegerin zu sein, die nie zu schwimmen wagte. Ohne der Furcht in ihrem Bauch weitere Beachtung zu schenken, watete sie ins Wasser. Panik begann in ihren Pfoten zu pulsieren. Ihr war schlecht. Aber sie blieb nicht stehen, spürte das Wasser bis an ihren Bauch steigen, dann um ihre Flanken herum, bis es ihr über den Rücken schwappte. Sie schloss die Augen, stieß sich vom Ufer ab und tauchte ins tiefe Wasser. Es war so kalt, dass das Blut in ihren Ohren rauschte. Sie strampelte im Wasser. Wo war fester Grund? Voller Entsetzen stellte sie fest, dass er außer Reichweite war. Sie ruderte mit den Pfoten, fühlte sich so unbeholfen wie eine DonnerClan-Kriegerin.

»Du schaffst das!«, hörte sie Sonnenpfote miauen und entdeckte die Freundin keine Schwanzlänge entfernt. »Ich lasse dich nicht ertrinken!«

Leopardenpfote kämpfte, um über Wasser zu bleiben. Es spritzte ihr in die Nase und brannte in ihren Augen. Denk daran, was du von Schmutzfell gelernt hast. Sie erinnerte sich an die erste Schwimmübung mit ihrem Vater, als sie ein Junges war. Lass dich vom Wasser tragen, hatte er miaut. Das tut es, wenn du ihm vertraust. Damals war sie geschwommen, bevor sie gelernt hatte, sich zu fürchten. Du bist eine FlussClan-Katze, hatte Schmutzfell zu ihr gesagt. Schwimmen liegt dir im Blut. Sie stellte sich vor, wie ihr Vater vor ihr hergeschwommen war, unbekümmert wie ein Fisch, und immer über seine Schulter geblickt hatte, um sicherzustellen, dass ihr nichts passierte, sein Schwanz nicht weiter als ein Schnurrhaar entfernt, damit sie ihn packen konnte, falls es nötig sein sollte. Langsam löste sich ihre Panik auf, und sie spürte, dass ihre Pfoten allmählich zusammenarbeiteten, sich nacheinander streckten, um sie durchs Wasser zu schieben.

»Du kannst es!«, rief Sonnenpfote neben ihr.

Ich kann es wirklich! Triumphgefühle regten sich in ihrer Brust, während ihre Pfoten einen gleichmäßigen Rhythmus aufnahmen. Schmutzfell hatte recht: Das Wasser trug sie. Es floss um sie herum, stützte sie und ließ sie einfach vorwärts schwimmen, bis sie sich mit der Strömung vereint fühlte. Wenig später spürte sie wieder Grund unter ihren Pfoten und tappte ans andere Ufer, Wasser triefte von ihrem Fell. Sie funkelte den Reiher an und drohte mit einem Buckel. Der Reiher sträubte das Gefieder, erhob sich in die Lüfte und flog über das Schilf davon.

Sonnenpfote kletterte hinter ihr ans Ufer. Sie schnurrte vor Begeisterung. »Du hast es geschafft!«

»Ja, ich hab’s wirklich geschafft!« Leopardenpfote umkreiste sie mit hocherhobenem Schwanz. Sie fragte sich plötzlich, warum sie so lange gezögert hatte, sich ihrer Angst zu stellen. Vielleicht dauerte es noch eine Weile, bis sie sich im Wasser wirklich wohlfühlen würde, aber jetzt wusste sie, dass es möglich war, wenn sie nur wollte. Beim nächsten Mal werde ich mich nicht von meiner Angst aufhalten lassen.

Sonnenpfote tappte zu dem Karpfen, trug ihn zu Leopardenpfote und ließ ihn vor ihren Pfoten fallen. »Du darfst ihn ganz allein fressen, wenn du magst«, miaute sie. »Du hast ihn dir verdient.«

Leopardenpfote blinzelte sie glücklich an. »Er schmeckt bestimmt besser, wenn wir ihn uns teilen«, miaute sie.

»Ich wusste, dass du es irgendwann schaffen würdest«, hatte Weißzahn bei ihrer Rückkehr ins Lager miaut. »Du musstest nur den richtigen Moment finden.«

Seitdem ging ihr Mentor jeden Sonnenaufgang mit ihr schwimmen. »Du musst eine Menge Training nachholen«, hatte er erklärt, während er ihr zeigte, wie eine Katze an den tiefsten Stellen des Flusses tauchte und in der Strömung navigierte und wo sie Strudel und trügerische Felsbrocken beachten musste. Bald wusste sie schon, wo sich ein Fisch versteckte, sobald Blasen an der Oberfläche aufstiegen, und tauchte danach, schoss so geschickt durch das Wasser, dass keiner ihr entkommen konnte.

Den heutigen Tag hatten sie jedoch mit Kampftechniken verbracht. In den zahllosen Sonnenaufgängen ihres Trainings mit Froschpfote und Baumpelz hatte sie Geduld und Taktiken gelernt, was ihr erst jetzt bewusst wurde, als sie Schwarzpfote das erste Mal in einem Kampf besiegte. Der Kater war größer und kräftiger als sie, aber sie hatte bemerkt, dass er dazu neigte, zu viel Gewicht auf die Hinterläufe zu setzen – deshalb hatte ihn erst aus dem Gleichgewicht gebracht und dann schnell wie eine Schlange von der anderen Seite angegriffen, sodass ihm keine Zeit blieb, ihr auszuweichen, als sie ihn zu Fall brachte und am Boden festhielt.

Jetzt lag sie entspannt in der Sonne, die weich und orangerot wie Entenfedern vor dem blassen Abendhimmel hinter dem Moor unterging. Das lange Gerippe des Karpfens, den sie sich mit ihren Baugefährten geteilt hatte, lag vor ihr. Sonnenpfote putzte sich neben ihr, während Himmelpfote die letzten Fischreste zwischen den Gräten herausleckte.

»Wenn ich Kriegerin bin«, miaute Himmelpfote zwischen zwei Happen, »werde ich mich für jede Patrouille melden.« Sie leckte einen Fischfetzen mit der Zunge heraus. »Und dann frage ich Jubelstern, ob ich eine anführen darf.«

»Ich will keine Patrouille anführen«, miaute Sonnenpfote. »Ich gehe lieber einfach mit.«

16. Dezember

Leopardenpfote schaute zum Lagereingang, in der Hoffnung auf Schmutzfells baldige Rückkehr. Sie hatte eine kleine Regenbogenforelle für ihn aufgehoben, die sie beim Training gefangen hatte. Die aß er am liebsten, und sie wollte ihm unbedingt zeigen, dass sie sie gefangen hatte, ohne auch nur eine einzige Schuppe zu verletzen, bis auf den sauberen Todesbiss. »Wann kommt die Grenzpatrouille denn endlich zurück?«, miaute sie.

»Bestimmt bald«, warf Sonnenpfote ein. »Sie wollten nur die Grenze bei den Sonnenfelsen kontrollieren.«

»Wenn sie da DonnerClan-Kriegern begegnen, zerfetzen sie ihnen hoffentlich die Ohren.« Leopardenpfote kräuselte verärgert den Pelz. Der DonnerClan hatte vor ein paar Monden die Sonnenfelsen eingenommen und das konnte sie ihnen nicht verzeihen. »Diese Eichhörnchenjäger sind so gierig. Können sie sich denn nicht mit dem Wald zufriedengeben?«

»Wahrscheinlich sind sie der Meinung, die Sonnenfelsen würden auch zum Wald gehören«, motzte Sonnenpfote.

»Aber warum?« Leopardenpfote schnippte mit dem Schwanz. »Die Sonnenfelsen haben immer zum FlussClan gehört. Sie haben keinen Anspruch auf sie und das wissen sie auch.«

»Schilfpfote hat gesagt, wenn er Anführer wäre, würde er sich die Sonnenfelsen zurückerobern«, miaute Himmelpfote.

Leopardenpfote schnaubte. Sie fragte sich, warum Himmelpfote so wichtig war, was Schilfpfote sagte. »Warum bist du immer so beeindruckt von Schilfpfotes Geplapper?« Sie kniff die Augen zusammen. »Magst du ihn etwa?«

Himmelpfote setzte sich auf. »Und wenn schon!«, miaute sie. »Er wird einmal ein großartiger Krieger. Und sieht so gut aus.«

Sonnenpfote senkte schüchtern den Blick auf ihre Pfoten. »Käfernase sieht besser aus.«

Himmelpfote riss die Augen auf. »Dir gefällt Käfernase?«

»Kann schon sein.« Sonnenpfote spähte zu Leopardenpfote. »Wen findest du denn toll?«

»Ich?« Darüber hatte Leopardenpfote noch nicht nachgedacht. Sie machte sich nichts aus Katern. Sie war zu sehr mit ihrem Training beschäftigt. »Keine Katze.«

»Wirklich nicht?« Himmelpfote blinzelte sie an. »Und was ist mit Froschpfote? Ihr steckt ziemlich oft zusammen.«

»Wir trainieren bloß zusammen«, miaute sie. »Mehr ist da nicht.«

»Bist du dir sicher?« Himmelpfote schob das Fischgerippe von sich. Ihre Augen blitzten spöttisch. »Der ist doch ziemlich süß.«

»Ich dachte, du magst Schilfpfote«, miaute Leopardenpfote zurück.

Bevor Himmelpfote antworten konnte, raschelte der Lagereingang, und Jubelstern tappte ins Lager. Feldkralle folgte ihm und dicht dahinter Schiefmaul.

Schmutzfell stützte sich schwerfällig aber dankbar auf ihn.  Leopardenpfote setzte sich auf, ihr Bauch rumorte unheilvoll. Ihr Vater hinkte. Sein Fell stand ab, sie sah Wunden an seiner Flanke und seine Schnauze war zerkratzt und blutete.

»Schmutzfell!« Sie rannte über die Lichtung.

Jubelstern wedelte sie aus dem Weg. »Nicht so schlimm«, erklärte er ihr. »Aber seine Wunden müssen versorgt werden. Geh zu deinen Baugefährten zurück und warte, damit sich Brombeerblüte um ihn kümmern kann.«

»Aber …«

»Geh.« Jubelstern sah sie finster an. »Das geht nur Krieger etwas an.«

Leopardenpfote wich zurück, schaffte es aber nicht, wegzugehen. Sie starrte Schmutzfell ängstlich an.

»Es geht mir gut«, versicherte ihr Vater. »Tu, was Jubelstern dir sagt.«

Leopardenpfote blieb standhaft. »Was ist passiert?«

»Schmutzfell hat um die Sonnenfelsen gekämpft.« Schiefmaul führte Schmutzfell zum Schatten unter der Weide.

Leopardenpfote wollte ihm folgen. »Allein?«

»Gegen Vipernzahn, um zu entscheiden, wem sie gehören«, berichtete Schiefmaul.

Forellenkralle umkreiste die Patrouille auf ihrem Weg über die Lichtung. »Und wer hat gewonnen?«

»Schmutzfell«, antwortete Feldkralle. »Die Sonnenfelsen gehören jetzt wieder dem FlussClan.«

Während Brombeerblüte mit einem Kräuterbündel zwischen den Zähnen aus dem Heilerbau herbeieilte, versammelten sich immer mehr Krieger um die zurückgekehrte Patrouille. Leopardenpfote huschte von einer Seite zur anderen, um ihren Vater nicht aus dem Blick zu verlieren.

»Geh zu deinen Baugefährten zurück und warte«, wiederholte Jubelstern seinen Befehl, diesmal mit strengerer Stimme. »Wir haben wichtige Dinge zu besprechen.«

Zögernd kehrte Leopardenpfote um.

Himmelpfote kam zu ihr getappt. »Warum musste Schmutzfell allein kämpfen?«

»Weiß ich nicht.« Leopardenpfote interessierte das nicht. Sie wollte nur wissen, wie schwer ihr Vater verletzt war. Ihr Magen rumorte, während sie versuchte, einen Blick auf ihn zu erhaschen, aber immer mehr Krieger, die Jubelstern und die anderen neugierig umringten, versperrten ihr die Sicht, während Brombeerblüte Schmutzfells Wunden versorgte. Ottersprung und Hechtzahn umkreisten sie, ihre Schwänze zuckten aufgeregt, während sich Jubelstern mit Baumpelz und Wellenkralle beriet.

Leopardenpfote schluckte ihre Enttäuschung hinunter. Was ging hier vor?

Sie spürte Himmelpfotes Nase an ihrem Ohr. »Er wird ganz bestimmt wieder gesund«, miaute die hellbraune Tigerkätzin. »Du darfst bestimmt bald mit ihm sprechen.«

Sie erstarrte, als Ottersprung auf sie zueilte. »Habt ihr das gehört?« Ottersprungs Ohren zuckten. »Schmutzfell wird Heilerkatze!«

Leopardenpfote blinzelte. »Was redest du denn da?«

»Er hat Jubelstern gerade gesagt, dass er nicht mehr Krieger sein und lieber Heilerkatze werden will«, miaute Ottersprung.

 

17. Dezember

Leopardenpfote traute ihren Ohren kaum. Schmutzfell gehörte zu den stärksten Kriegern des FlussClans. Er hatte gerade die Sonnenfelsen zurückerobert, auf eigene Pfote! »Warum das denn?«

Ottersprung erwiderte ihren fragenden Blick. »Das musst du ihn schon selbst fragen.«

»Er hat bestimmt seine Gründe«, versicherte ihr Himmelpfote.

»Er hat aber nie erwähnt, dass er Heilerkatze sein möchte.« Das hätte er mir doch gesagt, wenn er daran denken würde, oder?, überlegte sie. Ganz bestimmt. Natürlich sagt er das jetzt nur, weil er nach diesem Kampf nicht klar denken kann.

Die Zeit schleppte sich dahin, während sie auf eine Gelegenheit wartete, mit Schmutzfell zu sprechen. Sie lief auf und ab, mit klopfendem Herzen, während die Sonne über dem Moor in der Ferne zu sinken begann, bis sich die versammelten Krieger endlich zerstreuten. Jubelstern führte Ottersprung und Hechtzahn zum Rand des Lagers. Weidenbriese tappte zum Frischbeutehaufen und nahm eine Forelle für den Ältestenbau. Feldzahn rief seine Clan-Gefährten zusammen, um eine Patrouille zu organisieren.

Weichflügel räumte einen Haufen Froschknochen vor dem Kriegerbau weg. »Komm und hilf mir«, rief sie Himmelpfote zu.

Himmelpfote zögerte. »Kann ich dich allein lassen?«, erkundigte sie sich bei Leopardenpfote.

»Na klar.« Leopardenpfote schaute sie nicht an. »Danke.« Sie starrte zu Schmutzfell hinüber. Als Himmelpfote davontappte, eilte sie an die Seite ihres Vaters.

»Schmutzfell?« Sie inspizierte seinen Pelz, atmete erleichtert auf, weil nichts mehr blutete.

Schmutzfell saß aufrecht da, während Brombeerblüte neue Spinnweben auf eine Wunde an seinem Bein legte. Seine Augen leuchteten auf, als er Leopardenpfote sah. »Keine Sorge. Das heilt wieder.«

Leopardenpfote hockte sich neben ihn. »Stimmt das auch?«

»Aber sicher.« Er schnurrte schwach.

Brombeerblüte blickte von ihrer Arbeit auf. »Er wird sich eine Weile schonen müssen.«

»Das dürfte nicht schwer sein« – Schmutzfell schnaubte kurz –, »nachdem ich jetzt kein Krieger mehr bin.«

Leopardenpfote spürte einen scharfen Stich in ihrem Herzen, spitz wie Krallen. Das meint er ernst …? »Aber warum?« Sie starrte ihren Vater an. »War der Kampf so schlimm?«

Schmutzfell stupste sie mit der Schnauze an die Schulter. »Ich könnte wieder kämpfen, wenn ich müsste«, miaute er. »Aber das möchte ich nicht.«

Leopardenpfote verstand ihn nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, wieso eine Katze nicht mehr Krieger sein wollte. »Aber warum denn nicht?«

»Ich bin es leid, immer wieder den gleichen Kampf auszufechten«, erklärte er ihr. »Weil dabei nichts endgültig geklärt wird.«

Brombeerblüte zerkaute Kräuter. Sie spuckte eine Paste auf ihre Pfote und begann, einen Biss an Schmutzfells Schwanz damit zu betupfen. »Es gibt noch andere Möglichkeiten, deinem Clan zu dienen, als zu kämpfen.«

»Schmutzfell ist doch zum Krieger ausgebildet worden«, protestierte Leopardenpfote. »Und wird beim FlussClan gebraucht.«

Brombeerblüte blickte nicht von ihrer Arbeit auf.

Schmutzfell antwortete für sie. »Der FlussClan braucht auch Heilerkatzen«, miaute er.

Leopardenpfote schaute ihn an, bemerkte plötzlich die grauen Haare in seinem Pelz. Fühlte er sich einfach alt? Plötzlich wollte sie ihn schützen. »Du wirst bestimmt eine hervorragende Heilerkatze.« Trotzdem verstand sie immer noch nicht, wie es möglich war, dass er nicht mehr Krieger sein wollte. »Vielleicht muss der FlussClan irgendwann keine Kämpfe mehr führen«, miaute sie.

Schmutzfell schien da anderer Meinung zu sein. »So einfach ist das Leben nicht«, miaute er. »Aber das verstehst du nicht, dazu bist du noch zu jung.«

»Nein, bin ich nicht.« Hatte er vergessen, dass er ihr gesagt hatte, sie sei etwas Besonderes und würde irgendwann den FlussClan retten? »Und wenn ich den FlussClan so stark mache, dass wir nie wieder kämpfen müssen?«

Er schnurrte nachsichtig. »Das wäre wunderbar.«

Sie wusste, dass er ihr nicht glaubte, aber sie würde es ihm beweisen. Sie würde ihm beweisen, dass der FlussClan nicht immer wieder die gleichen Kämpfe ausfechten musste. Sie leckte ihm zärtlich die Ohren. Bestimmt hatte er Schmerzen. Während sie das Blut aus seinem Fell leckte, kreisten ihre Gedanken schneller. Vielleicht war Schmutzfell ja schon immer zur Heilerkatze bestimmt gewesen. Wenn das so war, bedeutete das etwa, als er sagte, dass sie besonders sei – so besonders, dass sie alle Clans retten würde –, dass seine Worte eine Prophezeiung gewesen waren?

 

18. Dezember

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Einen Halbmond später hockte Leopardenpfote am Flussufer. Sie war viel zu sehr mit dem Training für ihre Kriegerprüfung beschäftigt gewesen, um über Schmutzfells Prophezeiung nachzudenken, oder seine fischhirnige Idee, Heilerkatze zu werden. Weißzahn hatte hart mit ihr gearbeitet, und sie gab ihr Bestes, um ihn zu beeindrucken. Jetzt war es so weit, sie und ihre Baugefährten wurden geprüft.

Sie beschnupperte die beiden toten Beutestücke vor ihren Pfoten. Den Schülern war aufgetragen worden, Landbeute zu jagen, und jetzt fragte sie sich, ob die beiden Wasserratten, die sie gefangen hatte, zur Land- oder Wasserbeute zählten. Vielleicht sollte sie noch in das Wäldchen diesseits des Flusses laufen und eine Maus fangen. Sie spähte durch die Bäume. Wurde sie aus dem Unterholz von Weißzahn beobachtet? Sie wusste, dass er ein Auge auf sie hielt, um zu sehen, wie sie zurechtkam. Hatte sie genug getan, um zur Kriegerin ernannt zu werden?

Über ihr bebte ein Ast, der auf den Fluss hinausragte. Blätter rieselten herab und sie blickte auf, spitzte die Ohren, als sie Himmelpfote unsicher darauf entlangtappen sah. Die Augen ihrer Baugefährtin waren auf ein Eichhörnchen fixiert, das sie auf dem Ast in die Enge getrieben hatte. Erregung blitzte in Himmelpfotes Augen. Die Aufgabe, Landbeute zu jagen, war schwer für Schüler, die daran gewöhnt waren, im Fluss Fische zu fangen, und ein Eichhörnchen wäre ein beeindruckender Fang.

Leopardenpfote spürte einen Anflug von Neid. Warum hatte sie nicht versucht, ein Eichhörnchen zu fangen?

Das Eichhörnchen verharrte reglos am Ende des Asts. In seinen Augen flackerte Panik. Himmelpfote duckte sich tiefer. Ihre Hinterpfoten zitterten, und Leopardenpfote sah, dass sie zum Sprung ansetzte. Sie hielt den Atem an, als Himmelpfote abhob, aber das Eichhörnchen war plötzlich den Stamm hinaufgesaust und zwischen den Blättern über ihrem Kopf verschwunden.

Himmelpfote landete auf dem nun verlassenen Ende des Asts. Er bog sich unter ihrem Gewicht. Sie fauchte enttäuscht, während sie sich krampfhaft festzuhalten versuchte, aber der Ast brach und ihre Hinterläufe rutschten ab. Für einen Moment baumelte sie in der Luft, dann verlor sie den Halt, glitt gänzlich von dem Ast und platschte ins Wasser.

Leopardenpfote sauste zum Ufer, ihr Herz stockte, als Himmelpfote für einen Moment verschwunden war, aber bald tauchte ihr Kopf wieder an der Oberfläche auf.

Wut loderte in den Augen der Getigerten, während sie zum Ufer schwamm und ein paar Schwanzlängen flussabwärts aus dem Wasser stieg.

»So ein Pech«, rief Leopardenpfote.

Himmelpfote schnaubte. »Warum sollen wir überhaupt Landbeute fangen?«, knurrte sie. »Das ist unfair. Ich hab das Fischefangen trainiert! Das hätten sie uns sagen müssen.«

»Du kannst eine von diesen hier haben.« Leopardenpfote schob ihr eine Wasserratte zu. Ihr Mitgefühl für die Baugefährtin mischte sich mit dem Gedanken, dass sie nur deshalb bei der Jagd auf Landbeute gut war, weil sie sich wegen Himmelpfote vor dem Wasser gefürchtet hatte. Es war erst etwa ein Mond vergangen, seit sie aufgehört hatte, Himmelpfote dafür zu hassen.

Die hellbraune Tigerkätzin schnippte verärgert mit dem Schwanz. »Willst du, dass sie mir Betrug vorwerfen?« Mit einem Fauchen verschwand sie im Wald. »Danke, aber ich kann meine Beute selbst fangen.«

Leopardenpfote beschloss, ihr nicht zu folgen. Himmelpfote hatte recht. Betrug war keine Lösung, sie musste es allein schaffen.

Bei ihrer Ankunft im Lager hatten Rumpelpfote, Sonnenpfote und Schwarzpfote ihre Beute bereits abgeliefert. Als Leopardenpfote auf die Lichtung tappte, sah Jubelstern zufrieden aus, und Eichenherz und Feldkralle plusterten stolz die Pelze auf und schnurrten. Leopardenpfote vermutete, dass die drei Schüler ihre Prüfung bereits bestanden hatten.

Weißzahn stand neben dem Anführer des FlussClans.

Leopardenpfote ließ ihre Wasserratten vor seine Pfoten fallen und blinzelte fragend zu ihm auf. »Zählen die als Landbeute?«, miaute sie.

»Du hast sie an Land gefangen«, erklärte er ihr. »Also zählen sie.«

Sie atmete erleichtert auf. »Dann habe ich bestanden?«

Weißzahn berührte ihren Kopf mit der Schnauze. »Ja.«

Freude strömte durch ihre Brust. Während sie zu schnurren begann, kamen Froschpfote und Schilfpfote ins Lager getrabt, dicht gefolgt von Wiesenpfote. Alle drei hatten Beute mitgebracht.

Jubelstern nickte anerkennend, als sie ihren Fang vor ihm ablegten. Damit hatte wohl jede Katze die Prüfung bestanden.

Der FlussClan-Anführer schaute zum Lagereingang. »Wo ist Himmelpfote?«

 

19. Dezember

»Ich habe sie eben noch gesehen«, berichtete Leopardenpfote. »Sie war auf dem Weg in den Wald.«

»Ohne Beute?«, miaute Jubelstern erstaunt.

Leopardenpfote mied seinen Blick. Sie wollte ihm nicht verraten, dass Himmelpfote ein Eichhörnchen entwischt war. Es war mutig von ihr gewesen, sich an so schwieriger Beute zu versuchen. Jubelsterns Schwanzspitze zuckte ungeduldig. Er blickte zum Himmel auf. Sonnenhoch war schon vorüber. Alle Schüler hätten inzwischen zurück sein müssen. »Sie kommt bestimmt gleich«, versicherte Leopardenpfote.

Ihre Pfoten kribbelten besorgt. Bitte, SternenClan, hilf ihr, etwas zu fangen. Sie eilte zu ihren Baugefährten. »Wenn Himmelpfote nicht rechtzeitig wieder da ist«, flüsterte sie, »können wir doch darum bitten, dass unsere Ernennungszeremonie verschoben wird, bis sie die Prüfung nachholen konnte.«

Schwarzpfote stöhnte. »Ich will meinen Namen aber jetzt haben.«

Froschpfote stieß ihn in die Flanke. »Ein Sonnenaufgang mehr oder weniger macht doch keinen Unterschied.«

Schwarzpfote schnaubte. »Und wenn sie es beim nächsten Mal auch nicht schafft?«

»Kann gar nicht sein«, miaute Leopardenpfote bestimmt.

Sonnenpfote spähte erwartungsvoll zum Lagereingang. »Es ist doch noch gar nicht gesagt, dass sie durchgefallen ist.«

Noch während sie das sagte, stürmte Himmelpfote ins Lager. Ohne Beute, und Leopardenpfote verließ der Mut.

Mit hängendem Schwanz trabte Himmelpfote über die Lichtung zu Jubelstern. »Ich hätte fast ein Eichhörnchen gefangen«, knurrte sie.

Er schüttelte traurig den Kopf. »Beinahe ist leider nicht genug«, miaute er.

Weichflügel kam herbeigeeilt. »Ihre Technik war ausgezeichnet«, berichtete sie Jubelstern mit einem mitfühlenden Blick auf Himmelpfote. »Ich habe sie beobachtet, sie hat ihre Sache gut gemacht.«

»Technik macht den Clan nicht satt«, miaute er. »Erst wenn sie Beute bringt, kann ich sie zur Kriegerin ernennen.«

Leopardenpfote trat vor. »Wir wollen unsere Kriegernamen erst, wenn auch Himmelpfote ihren bekommt.« Sie spähte zu ihren Baugefährten. Schwarzpfote sah nicht begeistert aus, schwieg aber.

Sonnenpfote tappte vor. »Beim nächsten Mal wird Himmelpfote bestehen«, miaute sie. »Und so lange können wir noch auf unsere Zeremonie warten.«

Jubelstern musterte die Schülerinnen und Schüler. Seine Augen leuchteten liebevoll. »Es tut gut, so viel Loyalität unter unseren jüngsten Kriegern zu sehen«, miaute er. »Die Namenszeremonie kann warten, bis Himmelpfote auch so weit ist.«

Himmelpfote schaute dankbar von Sonnenpfote zu Leopardenpfote. »Ich will euch aber nicht aufhalten«, miaute sie.

»Wir können uns auch ohne Kriegernamen um unseren Clan kümmern«, antwortete Leopardenpfote. »Außerdem wirst du bald bestehen. Das weiß ich.«

Himmelpfote hob das Kinn. »Auf jeden Fall.«

Ein blasser Silbermond hing tief am Himmel. Die Moorhöhe leuchtete rosa in der untergehenden Sonne.

Leopardenpfote konnte ihre zitternden Pfoten kaum stillhalten, während sie zwischen Schmutzfell und Weißzahn wartete. Ihre Clan-Gefährten hatten sich rund um die Lichtung versammelt und schauten zu, wie Jubelstern die Kriegernamen ausrief. Rumpelbauch, Schwarzkralle, Himmelherz und Schilfschweif saßen schon stolz zwischen den übrigen Kriegern. Froschhüpfer, Sonnenfisch und Wiesenbach hatten soeben vor Jubelstern gelobt, Ihren Clan zu schützen. Sie war die Nächste. Endlich würde sie ihren Kriegernamen erhalten.

Schmutzfell leckte das Fell zwischen ihren Ohren glatt. »Glanzhimmel schaut ganz bestimmt zu«, miaute er. »Und ist sicher genauso stolz auf dich wie ich.«

Leopardenpfotes Herz wurde weit. Sie schnurrte ihn an. »Ich werde euch noch stolzer machen«, versicherte sie.

Als sie das sagte, wurde sie von Weißzahn sacht nach vorn geschubst. »Du bist dran«, flüsterte er.

Jubelstern schaute sie auffordernd an, während Froschhüpfer, Sonnenfisch und Wiesenbach zu den anderen tappten. Sie eilte über die Lichtung, fühlte die Augen des gesamten Clans heiß auf ihrem Pelz.

Vor dem Anführer des FlussClans blieb sie stehen. Sie hätte nie gedacht, dass sie so nervös sein könnte. Sie schluckte, Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.

»Ich, Jubelstern, Anführer des FlussClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie …«, begann Jubelstern langsam. Ihr Herz schien vor Erregung zu zerspringen. Es war so weit. Das war der Anfang. Er fuhr fort. »… auf diese Schülerin hinabzublicken. Nach dem Verlust der Mutter hat der Clan sie großgezogen, und es erfüllt uns mit besonderem Stolz, dass sie heute von der Schülerin zur Kriegerin aufsteigt. Sie hat hart gearbeitet um eure edlen Gesetze zu erlernen. Der SternenClan möge sie als Kriegerin beim FlussClan willkommen heißen.«

Leopardenpfote hielt den Atem an, wohl wissend, was er als Nächstes sagen würde, und trieb ihn insgeheim voller Ungeduld zur Eile an.

»Leopardenpfote«, miaute er endlich. »Versprichst du, das Gesetz der Krieger zu achten, den Clan zu schützen und ihn zu verteidigen, selbst wenn es dein Leben kostet?«

»Ich verspreche es«, miaute Leopardenpfote. »Das mache ich ganz bestimmt.«

Jubelsterns Schnurrhaare zuckten. »Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Leopardenpfote, von diesem Augenblick an wirst du Leopardenfell heißen. Der SternenClan ehrt deine Zielstrebigkeit, deine Eigenständigkeit und deine Loyalität und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin des FlussClans willkommen.«

Leopardenfell drehte sich zu Schmutzfell um, unterdrückte ein Schnurren, als seine Augen stolz aufleuchteten. Weißzahn blinzelte ihr fröhlich zu. Ihr war, als würde sich das Herz in ihrer Brust erheben wie ein Vogel. Sie war eine Kriegerin. Endlich konnte sie damit beginnen, ihre Bestimmung zu erfüllen.

 

20. Dezember

Ihr Mut sank. Grauteich und Weichflügel waren in der Kinderstube und Junge gab es auch. Der FlussClan verließ sich auf sie. Sie tappte noch einmal um die Birke herum.

Sonnenfisch beobachtete sie. »Dann hat Käfernase also …«

Leopardenfell schnitt ihr das Wort ab. »Sag mir bloß nicht, dass Käfernase recht gehabt hat«, fauchte sie.

Sonnenfisch blinzelte sie an. »Hat er aber doch.«

Leopardenfell funkelte ihre Freundin an. Ihre Wut erlosch sofort, als sie Sonnenfischs große, verständnislose Augen sah. Für Leopardenfell war Verliebtsein nur Zeitverschwendung, aber wenn Sonnenfisch deshalb weder Kälte noch Hunger verspürte, warum sollte sie ihr das verderben?

Rinde bröckelte auf sie hinab. Leopardenfell blickte auf. Ein Eichhörnchen sauste hoch oben über einen kahlen Ast. Sie  ließ sich auf den Bauch fallen, duckte sich zwischen den Blättern. »Versteck dich«, befahl sie Sonnenfisch.

Sonnenfisch sauste zum Baumstamm und tauchte bei einer Wurzel unter, ihr grauer Pelz verschmolz mit den Schatten. Gemeinsam beobachteten sie das Eichhörnchen, das den Baumstamm erreicht hatte. Leopardenfells Herz machte einen Satz, als es zu ihnen hinabzuklettern begann.

Beweg dich nicht bloß nicht, bevor es in Reichweite ist, flehte sie Sonnenfisch lautlos zu, aber Sonnenfisch war schlau. Sie würde so gut wie jede Katze wissen, dass sie nur absolut lautlos sitzen bleiben und warten mussten. Eichhörnchen waren schnell, aber sie waren nicht so vorsichtig wie Bodenbeute. Was vermutlich der Grund war, warum DonnerClan-Katzen in der Blattgrüne so fett wurden.

Ihr Herz pochte schneller, während das Eichhörnchen den Stamm hinab huschte, die Pfoten spreizte, um sich geschickt mit den Krallen festzuklammern. Sonnenfischs Blick folgte dem Eichhörnchen, aber nicht ein einziges Haar in ihrem Pelz zuckte. Leopardenfell hielt den Atem an, während es näher kam. Ihre Muskeln kribbelten, drängten sie loszuspringen, aber sie zwang sich dazu stillzuhalten, bis das Eichhörnchen plötzlich noch schneller die letzte Schwanzlänge des Baumstamms hinab und auf einer Wurzel entlangflitzte.

Leopardenfell schoss aus dem Laubhaufen, sauste mit angelegten Ohren hinter ihm her. Sonnenfisch rannte mit ihr los, bog in die eine Richtung, während Leopardenfell die andere einschlug. Gemeinsam jagten sie ihre Beute, die auf eine Eiche zurannte. Es darf sie nicht erreichen. Wenn das Eichhörnchen einmal den Baum erreicht hatte, konnten sie ganz sicher nicht mehr mit ihm mithalten. Sie warf Sonnenfisch einen Blick zu.

Sonnenfisch fing ihn auf und schien zu verstehen. Sie verlangsamte das Tempo und blieb hinter dem Eichhörnchen ein, während Leopardenfell noch einmal zulegte und überholte. Von vorn und hinten blockiert, wechselte es die Richtung. Mit Panik in den Augen suchte es nach einem Ausweg. Schneller als ein Aal verlagerte Leopardenfell ihr Gewicht von einer Pfote auf die andere und tat es ihm nach. Sie sprang mit gestreckten Vorderpfoten auf ihre Beute und tötete sie mit einem Biss, noch bevor das Eichhörnchen auch nur aufschreien konnte.

Sonnenfisch stoppte keuchend neben ihr und setzte sich. Ihre Schnurrhaare zuckten angewidert, als der warme, erdige Blutgeruch des Eichhörnchens in der feuchten Luft aufstieg. »Wie können DonnerClan-Katzen nur ständig so etwas fressen?«, miaute sie.

»Eine hungrige Katze kann wohl alles fressen.« Leopardenfell hob den schlaffen Körper des Eichhörnchens mit einer Kralle vom Boden. Ihr Magen knurrte. Es war kein Fisch, aber es war Nahrung, und dafür würden Grauteich und Weichflügel dankbar sein. Sie packte es mit den Zähnen und dann machten sie sich auf den Heimweg.

21. Dezember

Kapitel 3

Leopardenfell schüttelte ihren Pelz. Der Regen war eisig, und sie konnte kaum glauben, dass erst sechs Monde vergangen waren, seit sie als Pfote in der Sonne gelegen und die Wärme der Blattgrüne genossen hatte. Sie spähte zu Sonnenfisch, aber ihre Freundin schien den Platzregen kaum wahrzunehmen, obwohl er von ihren Schnurrhaaren tropfte. Sie hatte wieder diesen Sternenblick. Sie denkt bestimmt an Käfernase. »Frierst du nicht?«, miaute Leopardenfell.

»Doch«, miaute Sonnenfisch. »Aber wir sind ja bald zu Hause, und Käfernase hat versprochen, für mich eine Forelle zu fangen. Die teilen wir uns dann.«

Leopardenfell duckte sich tiefer unter dem Regen. Ihr war, als hätte es mit Beginn der Blattleere angefangen zu regnen und einen ganzen Mond lang nicht mehr aufgehört. Warm wurde ihr nur, wenn sie zusammengerollt in ihrem Nest im Kriegerbau lag. »Mir gibt er bestimmt nichts ab von der Forelle«, brummelte sie.

Sonnenfisch sah sie verwundert an. »Doch, natürlich«, miaute sie. »Wenn du etwas davon willst.«

»Nein, danke.« Leopardenfell würde doch nicht in die knospende Romanze ihrer Freundin hineinplatzen. »Ich fresse mit Schilfschweif und Froschhüpfer.« Sonnenfisch war schon seit ihrer Zeit als Pfoten in Käfernase verliebt, und irgendwann hatte der attraktive, schwarze Krieger schließlich auch bemerkt, dass die hübsche, graue Kätzin keine unbeholfene Schülerin mehr war.

Leopardenfells Blick wanderte am Ufer entlang. Sie hatte den ganzen Morgen noch keinen einzigen Vogel und auch keine Ratte gesehen. »Mir scheint, dass sogar FlussClan-Beute schlau genug ist, um heute im Bau zu bleiben«, miaute sie.

Sonnenfisch betrachtete den Fluss, der wegen des Regens reichlich Wasser führte. »Käfernase sagt, dass alle Fische, die es zu fangen lohnt, flussaufwärts gezogen sind, wo das Wasser wärmer ist.«

Leopardenfell schnaubte. Glaubte Sonnenfisch eigentlich alles, was ihr der Kater erzählte? Die Fische waren nicht weg, weil sie wärmeres Wasser suchten. Sie ließen sich bloß in dem aufgewühlten Fluss mit der tückischen Strömung nicht so leicht fangen. Das behielt sie aber für sich. Sie hatte nur schlechte Laune, weil sie fror und Hunger hatte, und die musste sie nicht an ihrer Freundin auslassen. Wenn Sonnenfisch umringt von Jungen in der Kinderstube enden wollte, dann war das ihre Sache. Leopardenfell wollte lieber Kriegerin bleiben.

Sie musterte die Bäume entlang des Flusses. Der schmale Streifen war das einzige Waldgebiet im Territorium des FlussClans und sie jagten selten hier. Keine FlussClan-Katze mochte Waldbeute, weil sie so erdig schmeckte – bis auf Grauteich und Weidenbriese. Aber bei diesem Wetter war das vielleicht der einzige Ort, an dem sie Nahrung finden konnten. »Sollen wir hier jagen?«

Sonnenfisch folgte ihrem Blick. »Wenigstens sind wir da vor dem Wind geschützt«, stellte sie fest.

Leopardenfell führte sie in den Wald, auf einer kleinen Lichtung verlangsamte sie ihre Schritte. Sie wartete, bis sich ihre Augen an das trübe Licht gewöhnten.

Sonnenfisch blieb neben ihr stehen, mit großen Augen spähte sie suchend in die Schatten. »Brauchen DonnerClan-Katzen denn keine frische Luft?«, miaute sie.

»Wahrscheinlich haben sie sich daran gewöhnt, modriges Laub einzuatmen«, spottete Leopardenfell.

Sonnenfisch rümpfte die Nase. »Wie können sie Beute entdecken, wenn alles nach nasser Rinde riecht?«

Eine Bewegung fiel Leopardenfell ins Auge. »Da drüben.« Sie deutete mit der Schnauze auf eine Birke. Etwas rumorte zwischen den Wurzeln. Tief geduckt tappte sie darauf zu, mit dem Schwanz dicht über dem Boden und den Blick auf die raschelnden Blätter fixiert.

Sonnenfisch blieb neben ihr stehen, als sie einen Pfotenschritt vor dem Baum innehielt. Ein winziger Schwanz zeigte sich kurz zwischen den Blättern und verschwand.

»Da ist eine Maus«, flüsterte Leopardenfell aufgeregt. Der Laubhaufen bewegte sich, während die Maus tiefer scharrte. »Ich glaube, sie sucht etwas zu fressen.«

»Käfernase sagt, Mäuse sind am schwierigsten zu fangen«, flüsterte Sonnenfisch. »Sie bewegen sich noch schneller als Fische.«

Leopardenfell überkam plötzlich der unwiderstehliche Drang, zu beweisen, dass sich Käfernase irrte. Ohne die Bewegungen der Maus vorher zu berechnen, sprang sie in den Laubhaufen und stemmte ihre Pfoten fest auf den Boden. Die Maus saß in der Falle, und wenn sie zur nächsten Wurzelgabelung rannte, um sich in Sicherheit zu bringen, würde Leopardenfell sie fangen. Sie hielt den Atem an, wartete darauf, dass die Maus panisch im Laub auftauchte, war bereit, anzugreifen und sie mit einem Biss zu töten.

Nichts regte sich. Die Blätter zwischen ihren Pfoten blieben still. Verwundert machte Leopardenfell noch einen Satz, um sie aufzuscheuchen. Sie tauchte immer noch nicht auf. Frustriert begann sie im Blätterhaufen zu scharren. Wohin war die Maus verschwunden? Wohin hätte sie denn entkommen sollen?

Sonnenfisch tappte zu ihr und spähte über ihre Schulter. »Hast du sie erwischt?«

Leopardenfell warf ihr einen wütenden Blick zu. »Siehst du sie hier irgendwo?« Sie scharrte das Laub zur Seite und entdeckte zu ihrer Bestürzung eine Lücke unter einer Wurzel. Sie war so winzig, dass sich Leopardenfell fragte, wie sich eine Maus dort hindurchquetschen sollte, aber als sie daran schnupperte, schoss ihr der Angstgeruch ihrer Beute in die Nase. Sie folgte dem Geruch um den Baum herum, fand die Maus aber nicht mehr. Sie war weg.

22. Dezember

In der Nacht prasselte der Regen weiter auf ihr Lager, und als Leopardenfell am folgenden Sonnenaufgang aus dem Kriegerbau schlüpfte, war die Lichtung aufgeweicht und schlammig. Sie legte die Ohren vor dem Platzregen an. Schwere, graue Wolken hingen am Himmel, es sah nicht so aus, als würde sich das Wetter im Laufe des Tages ändern.

»Komm und hilf mir«, rief Wiesenbach von der Kinderstube aus. »Das Dach ist undicht.« Sie stopfte Blätter zwischen die verschlungenen Weidenzweige.

Blütenstaub arbeitete an ihrer Seite. »Vielleicht verschwenden wir unsere Zeit, wenn wir die Kinderstube flicken«, miaute sie. »Wenn das Wasser weiter so steigt, müssen Grauteich und Weichflügel in den Ältestenbau umziehen.«

Leopardenfell spähte zum Schilf, wo das Wasser durch die Halme rauschte und bis auf die Lichtung schwappte. Dahinter sprudelte der Fluss schmutzig und schnell. Die Strömung war auch heute noch zu gefährlich, um in das aufgewühlte Wasser zu springen und Fische zu fangen.

Sie eilte Blütenstaub und Wiesenbach zu Hilfe, packte nasse Blätter von dem Haufen in ihre Pfote und schob sie in eine Ritze. Die Blattspitzen flappten lose im Wind. »Wäre Moos nicht besser geeignet?«, schlug sie Blütenstaub vor. »Das könnten wir fester zusammenpressen.«

»Brombeerblüte will das Moos für die Nestpolster aufbewahren«, antwortete Blütenstaub. »Sie sagt, dass es sich leichter trocknen lässt.«

Wiesenbach schnaubte. »Ich glaube kaum, dass irgendeine FlussClan-Katze im letzten Mond in einem trockenen Nest geschlafen hat«, miaute sie.

Jubelstern und Schiefmaul – Zweiter Anführer, schon seitdem Muschelherz in den Ältestenbau umgezogen war – schauten mit tief besorgten Augen zu, wie das Wasser im Schilfbeet weiter anstieg.

Als Leopardenfell die nächste Pfotenmenge Blätter in eine Lücke stopfte, erschien Weichflügel im Eingang der Kinderstube und spähte nach draußen. Malvenjunges und Dämmerjunges wollten mit den Nasen an ihr vorbeischlüpfen, aber sie zog sie mit dem Schwanz eng an sich, während sie ängstlich den rauschenden Fluss musterte.

»Hallo, Weichflügel«, grüßte Leopardenfell mit einem Nicken. »Wie geht’s Grauteich?« Die graue Königin erwartete Junge von Wellenkralle und hatte wegen Übelkeit das Essen verweigert.

»Sie sagt, ihr sei immer noch schlecht«, antwortete Weichflügel seufzend.

Wenn sie mehr zu fressen und ein trockenes Nest hätte, würde es ihr vielleicht besser gehen. Leopardenfell musste wieder an das einzelne Eichhörnchen denken, das sie gestern mit Sonnenfisch gefangen hatte. Sie wandte sich an Blütenstaub. »Hat Schiefmaul schon Jagdpatrouillen losgeschickt?«

»Er hat bei Sonnenaufgang drei losgeschickt, aber keine ist bisher zurückgekehrt«, antwortete Blütenstaub.

Leopardenfell schüttelte ihr nasses Fell, wünschte sich, sie wäre früher aufgewacht und hätte sich einer Patrouille angeschlossen. Aber sie hatte bis in die Nacht Wache gehalten, und Schiefmaul hatte ihr gesagt, sie solle ausschlafen.

Schmutzfell war mit einem Kräuterbündel im Maul zum Ältestenbau auf dem Hügel unterwegs. Nachdem er mondelang trainiert hatte, kannte er sich mit Kräutern fast so gut aus wie Brombeerblüte. Inzwischen hatte sich Leopardenfell daran gewöhnt, dass er jetzt eine Heilerkatze war. Sie war sogar ein wenig stolz auf ihn, denn er war unermüdlich damit beschäftigt, seinen Clan zu schützen, obwohl er kein Krieger mehr war.

Schiefmaul eilte hinter ihm her. »Sind die für Vogelsang?«

Schmutzfell nickte und schlüpfte in den Weidenbau. Nur Strubbelbart und Vogelsang schliefen noch darin, nachdem Muschelherz und Forellenkralle gestorben waren, und Vogelsang hustete seit mehreren Sonnenaufgängen.

Als Schiefmaul hinter Schmutzfell hineinschlüpfte, schöpfte Leopardenfell weitere Pfotenmengen Blätter auf und stopfte sie am Boden unter den Wall, um jede Lücke zu schließen, durch die Regenwasser gesickert war. Sie arbeitete sich rund um den Bau, überlegte, ob sie das Lager verlassen und Nachschub sammeln sollte. Dieser Laubhaufen würde nicht reichen, um alle Löcher der Kinderstube zu stopfen.

Schiefmaul stürzte aus dem Ältestenbau und eilte zu Jubelstern. Leopardenfell erstarrte. Ging es Vogelsang schlechter? Sie sah, wie Jubelstern den Schwanz in die Luft streckte. Er schien sich zu freuen. Vielleicht hatte sich Vogelsang erholt. Während Leopardenfell die Ohren spitzte, um zu verstehen, worüber die beiden Krieger so aufgeregt diskutierten, rief Jubelstern über die Lichtung. »Blütenstaub, Wiesenbach, Leopardenfell!«

Ihr Herz schlug schneller, als sie ihren Namen hörte. Sie ließ die Blätter fallen und eilte zu ihm.

»Wir gehen trockene Nestpolster holen«, verkündete Jubelstern. »Es gibt eine Scheune gleich hinter dem Hundezaun.« Seine Augen leuchteten. »Ich habe dort gejagt, als ich noch Pfote war, und bin seit sehr vielen Monden nicht mehr dort gewesen.«

Schiefmaul umkreiste den FlussClan-Anführer. »Wir können bei der Gelegenheit auch gleich ein paar Mäuse fangen.«

 

23. Dezember

Leopardenfell schöpfte neue Hoffnung. Zum ersten Mal seit Sonnenaufgängen würden einige Clan-Gefährten mit gefüllten Bäuchen in trockenen Nestern schlafen. Als Jubelstern den Weg zum Lagerausgang einschlug, eilte sie ihm nach.

Die Patrouille wählte den Pfad um den Lagerwall herum. Die Trittsteine waren im Wasser verschwunden, deshalb überquerten sie den Fluss an der seichtesten Stelle. Die Strömung war hier stark, zum Glück mussten sie aber nicht weit schwimmen. Leopardenfell war so eine kräftige Schwimmerin geworden, dass sie den rauschenden Fluss mühelos durchquerte, und stellte mit Erleichterung fest, dass sie sich an ihre Furcht vor nassen Pfoten kaum noch erinnern konnte. Sie kletterte am anderen Ufer aus dem Wasser und blickte hinter sich, um sich zu vergewissern, dass die anderen ihr unversehrt folgten. Schiefmaul watete gerade heraus, Blütenstaub folgte ihm, aber wo war Wiesenbach? Leopardenfell konnte ihre Baugefährtin im schäumenden Fluss nicht entdecken. Als sie gerade wieder ins Wasser platschte, tauchte Wiesenbachs Kopf in den Wellen auf. Die getigerte Kätzin schwamm zum Ufer und kletterte aus dem Fluss, Wasser strömte ihr aus den Ohren und Schnurrhaaren.

»Alles in Ordnung mit dir?« Leopardenfell eilte zu ihr.

»Natürlich.« Wiesenbach schüttelte sich. »Ich bin getaucht. Unten am Grund des Flusses ist die Strömung nicht so stark.«

Ich kann zwar inzwischen besser schwimmen als früher, dachte Leopardenfell, aber es gibt immer noch Clan-Gefährten, die den Fluss besser kennen als ich.

Jubelstern und Schiefmaul liefen bereits auf das Buchenwäldchen zu, wo der Regen auf die braunen Blätter prasselte. Leopardenfell holte mit Blütenstaub und Wiesenbach schnell zu ihnen auf, beim Marschland liefen sie dann in einer Reihe hintereinander weiter. Fast blind vom Regen, sah Leopardenfell den Hundezaun erst, als Jubelstern mit dem Schwanz schnippte, um der Patrouille zu signalisieren, dass sie stehenbleiben sollten.

»Halt.« Er schnupperte an dem grauen Zaun. »Kein Hundgeruch«, erklärte er ihnen, schien erleichtert und schlüpfte darunter durch.

Leopardenfell folgte den anderen mit pochendem Herzen. Hier war sie nie zuvor gewesen. War das überhaupt Clan-Territorium? Im Regen waren Grenzmarkierungen schwer zu erkennen. Die Fläche innerhalb des Hundezauns war groß und mit Gras bewachsen, in der Luft hing ein säuerlicher Geruch, den sie nicht kannte. Sie fühlte sich schutzlos, während sie ihren Clan-Gefährten über die offene Wiese folgte, und war erleichtert, als sie einen niedrigen, grauen Wall erreichten. Während sie daneben Schutz suchten, schaute Leopardenfell nervös auf das riesige Nest dahinter. Es zeichnete sich wie ein eckiger Felsbrocken vor dem taubengrauen Himmel ab, die geschwärzten Holzwände düster und bedrohlich.

»Was ist das?«, flüsterte sie.

Jubelstern sah sie an. »Das ist eine Scheune«, erklärte er ihr.

Blütenstaub beugte sich vor. »Zweibeiner bauen so was«, erklärte sie. »Aber sie schlafen nicht darin. Dort lagern sie nur Gras und ziehen Mäuse groß.«

Jubelstern und Schiefmaul waren auf den niedrigen Wall gesprungen.

»Alles klar?« Schiefmaul sah seinen Anführer nervös von der Seite an. Als Jubelstern nickte, spähte er zu den anderen hinab. »Kommt weiter.«

Wiesenbach war zuerst auf der anderen Seite, und als Leo­pardenfell vorsichtig folgte, sah sie eine ausladende Steinlichtung vor der Scheune. Jubelstern überquerte sie schnell, blickte sorgsam erst in die eine, dann in die andere Richtung. Leopardenfell holte mit ihren Clan-Gefährten zu ihm auf. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sehr weit weg von zu Hause zu sein. Der säuerliche Geruch wurde stärker und ihr Rückenfell sträubte sich. Ob Jubelstern wirklich hier gejagt hatte, als er jung war? Sie wusste, dass der FlussClan-Anführer mutig war, aber gleich so viel Übermut? Seit es sie gab, hielt er sich stets in der Nähe seines Clans auf und wachte über sie wie ein fürsorglicher Vater. Sie hatte ganz vergessen, dass er einmal ein Krieger mit eigenen Abenteuern gewesen war.

Ihr Unbehagen wuchs, als Jubelstern durch ein kleines, gezacktes Loch tief unten an der Wand schlüpfte. Ob da drin Gefahren lauerten?

 

 

Hier endet die Geschichte im diesjährigen Adventskalender. Wie es in »Leopardensterns Ehre« weitergeht, erfahrt ihr in der nächsten Blattfrische.

Pssst: Morgen wartet eine besondere Überraschung auf euch … 

24. Dezember

Hier wird das Weihnachts-Gewinnspiel gezogen.