Catsgame

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Warrior Cats Adventskalender 2021

Zu früh! Kuschel dich nochmal in deinen Bau!

Die Türchen des Adventskalenders öffnen sich wie immer erst am 1. Dezember.
Hab noch ein bißchen Geduld!

Adventskalender 2021

Einen Guten Rutsch ins Neue Jahr!

Die Weihnachtswoche ist vorüber, die Türchen des Adventskalenders haben sich wieder geschlossen. 

Wir freuen uns, dass euch die ersten Seiten aus dem Special Adventure »Graustreifs Versprechen« so gut gefallen haben – im März könnt ihr dann lesen, wie es weitergeht! Kommt gut ins Neue Jahr!

Eure Beltz-Stern

PS: Die Gewinner_innen des Weihnachtsgewinnspiels werden
in der zweiten Januarwoche per Mail informiert – Pfoten drücken!

Die Türen des Warrior Cats-Adventskalenders haben sich wieder geöffnet!

Dieses Jahr wollen wir euch eine besondere Freude machen und haben einen fetten Leckerbissen versteckt, auf den ihr sonst noch lange, lange warten müsstet:  ganz exklusiv und ausführlich könnt ihr hier schon in das nächste Special Adventure »Graustreifs Versprechen« reinschnuppern – holt euch Tag für Tag einen neuen Happen ab, bevor sich die Türen nach Weihnachten wieder schließen.

Pssst: An Nikolaus und an Weihnachten warten wieder besondere Überraschungen auf euch …

[vorher-wcadventskalender-2021]

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Noch geschlossen

Zu früh!

Sei geduldig und kuschel dich nochmal in deinen Bau. Dieses Türchen ist noch verschlossen. Komm an einem späteren Tag auf deiner Patrouille wieder vorbei!

1. Dezember

Mauuunz! Es geht los! Schnuppert mit der diesjährigen Adventsgeschichte in das neue Special Adventure zu Graustreif hinein und erfahrt, wie der alte Krieger auf sein langes Leben zurückblickt …  

 

PROLOG:

 

Gremlin spähte vorsichtig unter dem Holunderbusch hervor, ihr Blick schnellte von einer Seite zur anderen. All ihre Sinne waren wachsam, aber sie sah nichts außer dem dichten Unterholz, roch nichts außer dem üppigen Duft der Pflanzen und hörte nichts außer dem Rauschen des nahe gelegenen Flusses.

Mit einem Seufzer zog sie sich in die Höhle inmitten des Strauchs zurück. »Keine Spur von ihm«, berichtete sie. »Vielleicht haben sich unsere Spione getäuscht.«

Ihr Begleiter, Schlange, kauerte am Boden, die schwarzweiß gefleckten Schultern hochgezogen. »Vielleicht«, knurrte er.

Er nahm ihren Platz ein, starrte durch die Lücke zwischen den Zweigen. Unterdessen putzte Gremlin ihr schildpattfarbenes Fell mit den schwarz-weißen Flecken. Dabei verzog sie das Gesicht, weil es nach Kerbel schmeckte: Darin hatte sie sich mit Schlange gewälzt, um ihren Geruch zu überdecken. Ihre Pfoten kribbelten in einer Mischung aus Sorge und Erregung, wenn sie daran dachte, was – nun sehr bald schon – passieren könnte.

Schlange schnippte einmal mit dem Schwanz, dicht vor Gremlins Gesicht, und erschreckte sie dadurch so sehr, dass sie beinahe aufgeschrien hätte. Schlange knurrte aus tiefer Kehle. »Er ist da.«

Gremlin quetschte sich neben Schlange, damit sie beide durch den Spalt spähen konnten. Zwei rote Katzen – ein Kater mit einem flammend roten Pelz und eine Kätzin mit hellerem Fell – streiften durchs Unterholz, keine zwei Fuchslängen von dem Busch entfernt, unter dem sich Gremlin und Schlange versteckten.

»Dann hat sich der rote Narr tatsächlich auf die Mission begeben«, flüsterte Schlange hämisch. »Was denkt er sich nur dabei? Lässt seinen Clan einfach schutzlos und ohne Anführer zurück.«

»Wer ist die Katze, die Feuerstern begleitet?«, fragte Gremlin ebenso leise.

»Seine Gefährtin Sandsturm«, antwortete Schlange. »Sie ist nicht wichtig, aber nun haben wir eine Kriegerin weniger, um die wir uns Sorgen machen müssen.«

Seite an Seite beobachteten Gremlin und Schlange die beiden DonnerClan-Katzen, bis sie in Richtung Zweibeinerbrücke, die über den Fluss führte, verschwunden waren. Als ihr Geruch ebenfalls verweht war, wandte sich Schlange an Gremlin, jetzt mit einem boshaften Funkeln in den blauen Augen.

»Endlich!«, fauchte er. »Für den BlutClan ist der Moment der Rache gekommen!«

Der aggressive Unterton in seiner Stimme ließ Gremlin erschaudern. Trotz seines Halsbandes war Schlange kein sanftes Hauskätzchen, der schmale Fellstreifen war mit Hundezähnen gespickt, und sein zerfetztes Ohr zeugte von den vielen Kämpfen, die er durchgefochten hatte. Er ließ die Krallen  spielen, als sähe er bereits vor sich, wie er sie in DonnerClan- Kehlen schlug.

»Komm jetzt«, forderte er sie auf. »Wir müssen Zorn Bescheid geben.«

Er tauchte aus dem Holunderstrauch und schlug den Weg flussabwärts Richtung Zweibeinerort ein, der ihn im großen Bogen um das DonnerClan-Lager herumführen würde. Allmählich beschleunigte er sein Tempo, und Gremlin konnte kaum mit ihm Schritt halten, weil sie Junge im Bauch trug.

Kein guter Zeitpunkt für mich, in einen Krieg zu ziehen, seufzte sie insgeheim. Verständlich, dass der BlutClan immer noch auf Rache sinnt, nachdem die Clans unseren Anführer getötet haben. Und doch hätte ich mir gewünscht, dass sie noch ein wenig länger damit warten. Wie würde es ihren Jungen ergehen, wenn sie kämpfen musste?

2. Dezember

Gremlin und Schlange huschten leise durch den Zweibeinerort, bis sie Zorn und die übrigen BlutClan-Katzen fanden, die sich auf einer freien Fläche vor mehreren aneinandergebauten Monsterbauen versammelt hatten. Hohe Baue hielten an den übrigen drei Seiten das Sonnenlicht ab, sodass die Fläche überwiegend im Schatten lag. Dort wuchsen nur vereinzelt dünne, welke Grasbüschel.

Zorn hockte oben auf einem Haufen aus rötlichen, eckigen Steinen, mit denen Zweibeiner für gewöhnlich ihre Baue errichteten. Die langhaarige Tigerkätzin hatte ein Auge verloren, zahlreiche Narben zeichneten ihren Pelz. In einer langen Reihe von Katzen, die den BlutClan anführten, seit Geißel im Kampf gegen die Clans den Tod gefunden hatte, war sie die neueste. Gremlin konnte sich gut vorstellen, dass sie noch gefährlicher als der skrupellose schwarze Kater war, dem es beinahe gelungen wäre, sich zum Anführer aller Katzen des Waldes emporzukämpfen. Vor etwa einem Mond waren Zorn und ihr Vorgänger Kralle zum Zweibeinerort aufgebrochen, um Nahrung zu suchen, und

Zorn war allein zurückgekehrt, die Pfoten noch feucht vom Blut. Sie hatte den anderen BlutClan-Katzen erklärt, Kralle sei »einem Hund in die Quere gekommen«, aber Gremlin bezweifelte, dass sie die Geschichte vollständig erzählt hatte.

Zorns einziges Auge weitete sich, und ihr Schwanz zuckte aufgeregt, als sich Gremlin und Schlange näherten. »Nun?«, krächzte sie.

»Berichtet.«

Alle BlutClan-Katzen umringten sie neugierig, und ihre Augen leuchteten erwartungsvoll, als Schlange berichtete, er und Gremlin hätten gesehen, wie Feuerstern und Sandsturm aufgebrochen waren, um das DonnerClan-Territorium zu verlassen.

»Dann ist der DonnerClan also schutzlos«, miaute Zorn, als Schlange geendet hatte. Ihre Stimme zitterte vor Erregung und das Schulterfell sträubte sich. »Wir müssen den richtigen Zeitpunkt für unseren Angriff wählen – aber wir werden angreifen, da könnt ihr sicher sein!«

Die BlutClan-Krieger jaulten bei den Worten ihrer Anführerin begeistert auf.

»Ja! Wir werden ihr Territorium einnehmen!«, kreischte ein magerer, gelber Kater.

»Wir werden sie verjagen!«

»Den ganzen Wald werden wir besetzen!«

Gremlin hörte schweigend zu, ein unbehagliches Gefühl regte sich tief in ihrer Brust. Ihr Blick wanderte zu ihrem Bruder Fetzer, der mit einigen jüngeren BlutClan-Katzen zusammenhockte. Gefährliche Leidenschaft loderte in seinen Augen.

»Wir werden unsere Rache bekommen!«, knurrte er. »Wir werden diese DonnerClan-Katzen zerfetzen! Sie werden dafür bezahlen, was sie dem BlutClan angetan haben!«

Gremlin teilte die Begeisterung ihres Bruders nicht. Sie konnte nicht glauben, dass sie den DonnerClan einfach so überwältigen könnten, auch nicht ohne ihren Anführer. Die Krieger waren gut trainiert und den BlutClan-Katzen zahlenmäßig überlegen, von denen im Kampf in der vergangenen Blattleere zu viele ihr Leben hatten lassen müssen.

Bewegungen in ihrem Bauch erinnerten sie an die kostbare Last, die sie trug. Ich werde nicht zulassen, dass meinen ungeborenen Jungen etwas zustößt, dachte sie entschlossen. Deshalb muss ich einen Weg finden, wie ich die Teilnahme an diesem Kampf vermeide. Ich würde ja gern an unseren Sieg glauben, aber wenn ich ehrlich bin …

Dieser Kampf könnte zu einem Blutbad werden.

3. Dezember

Kapitel 1

 

JETZT

 

Die Sonne ging unter und warf lange Schatten über die Steinkuhle. Graustreif saß in den letzten Sonnenstrahlen, hatte die Pfoten untergeschlagen und schaute zu, wie seine Clan-Gefährten im Lager umherstreiften. Sein Herz war von Trauer erfüllt. Alles wirkte so friedlich, und dennoch spürte Graustreif eine Anspannung, die sich wie Spinnweben über alle Katzen des DonnerClans legte.

Ich bin gewiss nicht die einzige Katze, für die sich das Lager zu leer anfühlt, dachte er. So viele gute Krieger hatten sie im Kampf gegen den falschen Brombeerstern verloren. Und Eichhornschweif als Anführerin gab ihr Bestes, aber die Situation war für den Clan alles andere als leicht.

Keine DonnerClan-Katze schien zu wissen, wie sie sich verhalten sollte – als wären alle zu verstört, um den regelmäßigen Ablauf der Jagd- und Grenzpatrouillen aufrechtzuerhalten. Sogar Erlenherz, der junge Heiler, der eben seinen Bau verlassen hatte, schritt zielstrebig zur Mitte der Lichtung, nur um gleich darauf mit zuckender Schwanzspitze stehen zu bleiben. Er sprang zurück in seinen Bau und kam mit einem Kräuterbündel im Maul wieder hinaus.

Es passt gar nicht zu Erlenherz, zu vergessen, was er vorhat.

Graustreif drehte den Kopf zur Seite, wo sein Blick auf den leeren Fleck fiel, auf dem seine Gefährtin Millie stets gesessen hatte. Aber Millie war tot, und Graustreif litt seit vielen Monden still vor sich hin, weil ihm ihr Verlust das Herz gebrochen hatte. Und jetzt war auch noch Zweigblatt, der Sohn seiner Tochter Blumenfall, getötet worden.

Es fühlt sich noch schlimmer an als Millies Tod, dachte Graustreif wehmütig. Mit Millie konnte ich mich zumindest während des halben Mondes, in dem sie kränker und schwächer wurde, mit dem Gedanken vertraut machen, dass sie bald von mir gehen würde und ich ohne sie weiterleben müsste. Bei Millie hatte er sich auch damit trösten können, dass ein langes und erfülltes Leben hinter ihr lag. Aber Zweigblatt war so jung gewesen und so plötzlich aus dem Leben gerissen worden …

4. Dezember

Während der Blattleere hatte dann der SternenClan plötzlich nicht mehr mit den Clans kommuniziert. Es war das erste Mal in Graustreifs Leben, dass der SternenClan so lange keine einzige Botschaft schickte. Anfangs hatten die Clan-Katzen geglaubt, der zugefrorene Mondsee würde den SternenClan daran hindern, mit ihnen Verbindung aufzunehmen, aber als dann die Blattgrüne kam und der Mondsee taute, waren den Katzen weiterhin keine Visionen erschienen. Zwischendurch hatte der SchattenClan-Heilerschüler Schattenpfote behauptet, er habe eine seltsame Botschaft vom SternenClan bekommen, über eine Finsternis inmitten aller Clans. Mehrere Katzen wurden benannt, weil sie gegen das Gesetz der Krieger verstoßen hätten. Als Brombeerstern dann von einer schrecklichen Krankheit heimgesucht wurde, hatte Schattenpfote den DonnerClan-Heilerkatzen erklärt, sie sollten Brombeerstern für eine Nacht lang ins frostige Moor bringen. Auch dieser Rat war Schattenpfote angeblich vom SternenClan gegeben worden. Und tatsächlich starb Brombeerstern in der Nacht – und erwachte bei Sonnenaufgang wieder zum Leben, stärker denn je.

Der DonnerClan war davon ausgegangen, dass Brombeerstern nur ungewöhnlich lange gebraucht hatte, um mit dem nächsten seiner neun Leben vom SternenClan zurückzukehren. Aber dann hatte sich Brombeerstern immer seltsamer und grausamer verhalten – indem er befahl, alle genannten Gesetzesbrecher ins Exil zu schicken, und noch mehr Katzen bestimmte, die seiner Meinung nach für einen Gesetzesverstoß bestraft werden mussten. Erst da war dem DonnerClan schließlich klar geworden, dass sie auf einen Betrüger hereingefallen waren. Und Zweigblatt hatte schließlich sein Leben im Kampf gegen den falschen Brombeerstern verloren. Graustreif trieben verschiedene Gefühle um: Er wünschte sich aus tiefstem Herzen, der junge Krieger würde noch leben, aber er war auch stolz auf ihn. Zweigblatt war mutig gewesen und für seine Clan-Gefährten im Kampf gefallen.

Plötzlich wurde Graustreif von Schuld gepackt. Er selbst hätte auch gern mehr getan, um den Betrüger zur Strecke zu bringen. Obwohl er dem falschen Brombeerstern gesagt hatte, was er dachte, und dass nicht einmal Feuerstern blinden Gehorsam von seinem Clan erwartet hatte, war Graustreif nie zu den Rebellen in ihren Unterschlupf jenseits des SchattenClan- Territoriums gestoßen und hatte sich auch nicht am Kampf gegen den Eindringling beteiligt.

5. Dezember

Wir wünschen dir einen wunderbaren zweiten Advent!

Ich bin aber nicht mehr die junge Katze, die ich einmal war, tröstete er sich. Nicht wie früher, als ich mich mit Feuerstern in jedes Abenteuer gestürzt und Schwierigkeiten durchgestanden habe, als Erster jeder Gefahr entgegengetreten bin, die den Clan bedrohte.

Dann wanderte Graustreifs Blick über seine Clan-Gefährten und seine Schnurrhaare zuckten belustigt. Törichter alter Kater – du bist im Ruhestand, ein Ältester! Wird nicht genau das von Ältesten erwartet – das Kämpfen den jüngeren, stärkeren Katzen zu überlassen? Er suchte nach seinen noch lebenden Jungen und nach deren Jungen. Hummelstreif saß beim Eingang zum Kriegerbau und diskutierte mit Schalenfell, einem Jungen seiner Schwester, der einst sein Schüler gewesen war. Am anderen Ende der Lichtung nahm Löwenglut ein Beutestück vom Frischbeutehaufen. Sein golden getigertes Fell erinnerte Graustreif an Sandsturm, die ihr Leben gegeben hatte, um Erlenherz bei seiner Mission, das Schicksal des SternenClans zu ergründen, zu helfen.

Löwenglut trug die Beute zu Punktfell, die zusammengekauert abseits saß, immer noch um Zweigblatt trauernd, der ihr Gefährte gewesen war. Als Punktfell aufblickte, um mit Löwenglut zu sprechen, regte sich eine noch tiefere Erinnerung in Graustreif: Sie hatte die gleiche Schnauze und die gleichen Ohren wie Frostfell, mit der sie entfernt verwandt war, die auf eigenen Wunsch die Reise zum See mit dem Rest des DonnerClans nicht angetreten hatte und im alten Wald geblie ben war, dem ersten Territorium der Clans.

Erinnerungen an ehemalige Clan-Gefährten zogen wie eine Patrouille durch Graustreifs Kopf. Frostfell erinnerte Graustreif an ihren Bruder Rabenpfote, seinen alten Freund, der den DonnerClan verlassen hatte, um bei der Scheunenkatze Mikusch zu leben. Zutiefst erschüttert musste er daran denken, was die WolkenClan-Katzen berichtet hatten, als sie endlich zum See gefunden hatten: Rabenpfote hatte sie in ihrer Schlucht besucht und war dort wie ein Held gestorben.

Der SternenClan hat ihn bestimmt bei sich aufgenommen, dachte er. Wenn es irgendeine Katze verdient hat, dann ganz sicher er.
An den SternenClan zu denken, erinnerte Graustreif an die aktuelle Lage der Clans. Der Schwindler war im Kampf überwältigt und beim SchattenClan gefangen gehalten worden, weil die Clans gehofft hatten, er würde verraten, wie sie die Verbindung zum SternenClan wiederherstellen könnten. Eichhornschweif hatte vorübergehend die Führung des DonnerClans übernommen. Graustreif konnte immer noch kaum glauben, dass der Schwindler alle so lange hinters Licht geführt hatte, obwohl er nie bezweifelte, dass Eichhornschweif die Wahrheit gesagt hatte und der Bericht über das Geständnis des falschen Anführers stimmte.

 

6. Dezember
Hier folgt ein Gewinnspiel!
7. Dezember

Graustreif schüttelte den Kopf, um die düsteren Gedanken zu vertreiben. Da kam Eichhornschweif aus ihrem Bau auf der Hochnase, sprang den Steinfall hinab und lief zu einer Gruppe jüngerer Krieger, die sich bei der Felswand des Lagers niedergelassen hatten. Als sie sich näherte, verstummten sie plötzlich.

»Der Frischbeutehaufen geht zur Neige«, miaute sie. »Es bleibt noch Zeit für eine Jagdpatrouille, bevor es dunkel wird.«

Die Krieger starrten sie an, ohne sich zu rühren, und in Graustreifs Bauch rumorte es unheilvoll. Würden sie sich weigern, ihrer Anordnung zu folgen? Schnappzahn gähnte unverschämt lange, während Nelkenohr nur die Augen verdrehte, ohne die Schnauze von ihrem zusammengerollten Schwanz zu heben.

Graustreif sah, dass Dornenkralle, der zu den älteren Kriegern zählte, nicht weit entfernt ebenfalls das Geschehen beobachtete. Graustreif reckte den Hals, um den Blick des Katers auf sich zu ziehen, aber Dornenkralle schien ihn zu ignorieren. Sag doch was!, flehte Graustreif insgeheim. Die jungen Krieger würden ihr folgen, wenn du sie aufforderst, ihre Anführerin zu respektieren …

Aber Dornenkralle wich seinem Blick aus. Eichhornschweif blieb vor den jungen Kriegern stehen, verengte ihre grünen Augen und musterte eine Katze nach der anderen. Graustreif sah, wie sie die Muskeln anspannte, weil sie sich am liebsten auf sie gestürzt und ihnen die Ohren zerfetzt hätte. Kurz darauf brummelte Fliegenbart: »Schon gut, halt dein Fell flach.« Die ganze Gruppe erhob sich gemächlich auf die Pfoten, trottete durchs Lager und verschwand im Dornentunnel.

Eichhornschweif starrte ihnen nach, ihre Schwanzspitze zuckte verärgert hin und her. Graustreif war nicht weniger wütend als sie. Eichhornschweif ist unsere Zweite Anführerin und führt uns an, bis wir wissen, ob Brombeerstern zurückkehren wird. Was soll aus uns werden, wenn unsere Krieger sie nicht anerkennen wollen?

Nachdem die jüngeren Krieger gegangen waren, setzte sich Dornenkralle in Bewegung und tappte zu Graustreif.

»Warum hast du Eichhornschweif nicht unterstützt?«, wollte Graustreif wissen, als sich der getigerte Krieger näherte. »Wie kommen diese jungen Katzen dazu, ihrer Anführerin so wenig Respekt zu zollen?«

Dornenkralle blieb stehen. »Eichhornschweif ist nicht unsere Anführerin«, miaute er ungehalten. »Es steht ihr nicht zu. Der SternenClan hat Brombeerstern zu unserem Anführer ernannt. Als dann die Wahrheit über den Schwindler ans Licht kam, war Eichhornschweif nicht mehr unsere Zweite Anführerin. Sie lebte in der Verbannung – und gehörte nicht einmal mehr zum DonnerClan!« Er seufzte. »Was für ein komplettes Chaos.«

8. Dezember

Graustreifs Pelz kribbelte irritiert. »Das alles ist nichts als Mäusedung!«, konterte er. »Der Schwindler war es, der sie in die Verbannung geschickt hat, und dazu hatte er kein Recht! Jetzt ist sie wieder da, wo sie hingehört, und wir sollten genauso loyal zu ihr stehen wie zu Brom…«

»Mit welchem Recht?«, fiel ihm Dornenkralle hastig ins Wort und sträubte des Schulterfell. »Nur weil sie Brombeersterns Gefährtin war?«

»Natürlich nicht!« Graustreif wurde immer wütender, ihm drehte sich der Magen um. »Eichhornschweif hat bewiesen, dass sie eine gute Zweite Anführerin war, mehr als ein Mal. Und eine gute Anführerin ist sie auch.« Die Erinnerungen überwältigten ihn erneut. »Denk daran, dass wir nicht zum ersten Mal mit einem Anführer zurechtkommen müssen, der nicht vom SternenClan ernannt worden ist«, fuhr er kopfschüttelnd fort, »und hinterher hat sich stets herausgestellt, dass wir richtig entschieden hatten.«

Dornenkralle kehrte um und stolzierte wortlos und mit peitschendem Schwanz davon. Abfällig schnaubend widmete sich Graustreif wieder seinen Lagerbeobachtungen, als er Eichhornschweif auf sich zukommen sah. Ein amüsiertes Blitzen in ihren Augen verriet ihm, dass sie sein Fauchen mit Dornenkralle mitbekommen hatte. Ich war wenigstens auf der richtigen Seite, sagte er sich grimmig.

»Graustreif, kann ich dich kurz sprechen?«, fragte sie.

»Selbstverständlich«, antwortete Graustreif. Ihre Miene verriet ihm nicht, worum es ging, aber er konnte sich vorstellen, dass sie nur schwer ertragen konnte, wie ihre Clan- Gefährten an ihr zweifelten.

»Dann komm mit mir hinauf in den Bau«, miaute Eichhornschweif mit einem Schwanzschnippen. »Ich möchte gern mit dir allein sprechen.«

Überrascht stand Graustreif auf und folgte der dunkelorangen Kätzin am Steinfall zur Hochnase hinauf.

Im Anführerbau angekommen, ließ sich Eichhornschweif mit einem tiefen Seufzer in ihr Nest fallen, der Graustreif schon verriet, wie müde sie war, bevor er genauer hinsah und die Erschöpfung in ihren grünen Augen und die hängenden Schnurrhaare bemerkte. Unten im Lager musste sie den Anschein von tüchtiger Entschlossenheit aufrechterhalten, aber hier, wo sie außer ihrem ältesten Freund keine Katze sehen konnte, durfte sie entspannen. Mit einer Kopfbewegung winkte sie Graustreif zu sich und sprach erst, als er sich bei ihr niedergelassen hatte.

»Graustreif, du warst ja auch einmal Zweiter Anführer und dein Ratschlag wäre mir wichtig«, hob Eichhornschweif an. »Ich bin davon überzeugt, dass wir Brombeerstern und den SternenClan am Ende zurückgewinnen können, aber wie du gerade gesehen hast, mühe ich mich mit einem zutiefst gespaltenen Clan ab.«

Graustreif nickte ernsthaft. Ich weiß aber nicht, warum sie mich um Rat bittet, dachte er. Feuerstern war in diesen Dingen viel besser – oder konnte seine Ratschläge besser in Worte fassen. Ich bin mir nie sicher, was ich wie sagen soll.

9. Dezember

Einige Herzschläge lang war sein Kopf leer. Er wünschte sich nur, Feuerstern könnte hier sein, wenn auch nur im Geiste. Der ehemalige DonnerClan-Anführer hatte immer gewusst, welcher Weg der richtige war. Und Graustreif hatte sich nie wieder so stark gefühlt wie an der Seite seines besten Freundes.

»Eichhornschweif«, hob er schließlich an, »ich würde dir nur allzu gern raten, was du tun sollst, aber ich kann es nicht. Der falsche Brombeerstern konnte Clan-Gefährten viel zu gut gegeneinander ausspielen – vielleicht brauchen wir einfach nur Zeit, um uns zu erinnern, dass wir auf derselben Seite stehen. Diese jungen Krieger sind entsetzlich nervig, aber sie haben den wahren DonnerClan kaum kennengelernt, bevor die Probleme anfingen. Außerdem«, fügte er hinzu, »war ich nicht sehr lange Zweiter Anführer, bevor mich die Zweibeiner verschleppt haben.«

Und noch viel kürzer hatte er den Clan angeführt, als Feuerstern fort war. Bei Feuersterns Rückkehr war zwar alles unter Kontrolle, aber das war während seiner Abwesenheit nicht immer so gewesen, erinnerte er sich fröstelnd. Ich hatte es geschafft, den Clan zusammenzuhalten, aber damals ist mir klar geworden, dass ich als Anführer ungeeignet bin.

Jetzt fragte sich Graustreif, womit er Eichhornschweif helfen könnte. Was sollte er nur sagen, um diese unmögliche Aufgabe für sie leichter zu machen?

»Du warst ein guter Zweiter Anführer«, miaute Eichhornschweif, was ihr Graustreif jedoch kaum glauben konnte.

Nach einer Weile bemerkte er, dass ihn Eichhornschweif anstarrte. »Was ist?«, fragte er.

Ihre Schnurrhaare zuckten. »Wo bist du gerade gewesen? Ich habe in deinen Augen gesehen, dass du gerade weit weg warst.« Graustreif richtete sich überrascht auf. Er kannte Eichhornschweif seit ihrer Geburt, ihm war jedoch nie aufgefallen, dass sie ihn so leicht durchschaute.

»Oh. Also, ich habe wohl … über deinen Vater nachgedacht«, gestand er.

Eichhornschweif nickte. »Und?«

»Und«, fuhr er fort, »nun ja. Damals war die Situation für einen Zweiter Anführer anders. Es war irgendwie …« Er verstummte, plötzlich besorgt, dass er Eichhornschweif etwas sagen würde, was nicht stimmte.

Aber sie führte den Gedanken für ihn fort. »Wie in einem anderen Clan?«, fragte sie.

Er atmete aus. »Ja«, räumte er ein, dann brach es aus ihm heraus. »Nicht besser oder schlechter, aber …«

Eichhornschweif schüttelte sich. »Sprich es nur aus, Graustreif. Feuersterns DonnerClan war in vielerlei Hinsicht besser … wenigstens schien alles einfacher.« Sie seufzte.

»Du hast eine schwierige Aufgabe«, miaute Graustreif.

Sie sah ihm in die Augen. »Du hattest auch eine schwierige Aufgabe, als mein Vater ging und du den Clan beschützen solltest«, antwortete sie.

»Ich war damals noch nicht auf der Welt, aber ich habe die Geschichten gehört und weiß, welche schwierigen Entscheidungen du treffen musstest.«

Graustreif holte tief Luft, erinnerte sich. »So schwierig hatte ich es mir nicht vorgestellt«, miaute er leise. »Und da habe ich erkannt, dass … nun ja, dass ich deine Aufgabe niemals haben wollte.«

10. Dezember

Eichhornschweifs Augen wurden groß. »Ist das wahr? Du wolltest niemals Anführer werden?«

Graustreif schüttelte den Kopf. »Nicht nach dieser Erfahrung. Das habe ich Feuerstern nach seiner Rückkehr auch gesagt.«

Eichhornschweif kniff die Augen zusammen. »Du bist aber weiter Zweiter Anführer geblieben, nicht wahr? Jedenfalls …«

Graustreif nickte. »Das stimmt«, miaute er nachdenklich. »Weil ich deinem Vater etwas versprochen habe. Ich würde zwar niemals Anführer werden, aber ein loyaler Zweiter Anführer. Ich würde den DonnerClan niemals verlassen. Der Clan würde für mich immer an erster Stelle stehen.«

Graustreif sah Eichhornschweif an, für einen Moment ohne sie zu sehen, weil seine Erinnerungen ihm den Blick verklärten. Er konnte sich so gut erinnern, was er Feuerstern versprochen hatte. Er erinnerte sich, wie er sich gefühlt hatte, als er den geliebten Freund nach so langer Abwesenheit wiedersah. Ich war so erleichtert …

Aber dann brachte ihn Eichhornschweifs Stimme in die Gegenwart zurück. »Wenn das stimmt – wenn der Clan für dich immer an erster Stelle steht –, kann ich dann auf deine Hilfe zählen?«

Graustreif blinzelte, beinahe erschrocken, Eichhornschweif vor sich zu sehen. »Meine Hilfe?«, wiederholte er.
Eichhornschweif zuckte mit einem Ohr. »Ich könnte deine Unterstützung gut gebrauchen, Graustreif«, miaute sie. »Beim DonnerClan fühlt sich momentan alles so zerbrechlich an. Ich könnte einen Krieger gebrauchen, auf den ich mich verlassen kann.«

»Natürlich«, verkündete Graustreif. Aber während sich seine Stimme fest anhörte, wirbelten seine Gedanken hin und her. So viele Monde waren vergangen, seit er sein Versprechen gegeben hatte! Er fühlte sich, als würde sein Schwur zu einem anderen Leben gehören … vielleicht sogar zu einem anderen Clan. Zu Feuersterns DonnerClan. Graustreif hatte den Clan einmal verlassen und war zum FlussClan gegangen, um bei seinen Jungen zu sein. Aber seit er sein Versprechen gegeben hatte – nachdem er den Clan zusammengehalten hatte, während Feuerstern auf seiner Mission war –, hatte er seinen Platz beim DonnerClan nie mehr infrage gestellt. Er hatte nie mehr daran gedacht zu gehen.

Bis jetzt.

Der Gedanke ließ ihn erschaudern. Nein, auf keinen Fall … Ich kann unmöglich gehen. Und trotzdem musste er zugeben, dass zum ersten Mal seit vielen Blattwechseln seine Pfoten ein wenig zuckten. Nicht unbedingt, weil er nicht mehr beim DonnerClan sein wollte. Sondern aus Sorge … ob der Clan, zu dem er jetzt gehörte, noch derselbe war, den Feuerstern verlassen hatte? Und wenn nicht, konnte er wieder dazu werden?

Graustreif schüttelte noch einmal den Kopf, versuchte, die Gedanken zu verjagen. Das ist absurd. Ich bin ein alter Kater! Selbst wenn ich gehen würde, wohin sollte ich gehen? Eichhornschweif brauchte ihn. Feuerstern hätte von ihm erwartet, dass er blieb, ohne Frage.

»Graustreif«, riss ihn Eichhornschweif noch einmal mit schroffer Stimme aus seinen Gedanken. »Bist du noch bei mir?«

Jetzt schüttelte Graustreif seinen Pelz. »Du kannst auf mich zählen«, antwortete er schlicht. Ich weiß, dass sie das jetzt hören muss. »Ich verspreche, dir dabei zu helfen, den Clan zusammenzuhalten, bis wir den SternenClan wieder erreichen … und seinen Rat empfangen.«
Eichhornschweif antwortete mit einem dankbaren Schnurren.

Graustreif stand auf und neigte respektvoll den Kopf, dann verließ er den Bau und kletterte den Steinfall hinab. Er versuchte, die Gedanken zu verdrängen, die sich in seinem Kopf drehten: Und wenn wir den SternenClan nie wieder erreichen? Wenn es keinen SternenClan mehr gibt – keinen Feuerstern, keine Ahnen, um ihre Zukunft zu gestalten, um dem, was vom DonnerClan geblieben war, den Weg zu weisen? War das dann noch der DonnerClan?

Erschöpft von seinen eigenen Zweifeln, taumelte Graustreif in den Ältestenbau und legte sich hin. Er konnte gerade noch einen winzigen Hauch von Millies Geruch im Nestpolster entdecken … ihr Geruch wurde mit jedem Sonnenaufgang schwächer. Er würde bald gänzlich verflogen sein.

Graustreif schloss die Augen. Bevor der Schlaf über ihn kam, nahm ein letzter Gedanke in seinem Kopf Gestalt an:

Hoffentlich habe ich Eichhornschweif nicht belogen.

11. Dezember

Kapitel 2

 

JETZT

 

Graustreif tappte durch den Wald, das Gras war weich unter seinen Pfoten und kitzelte an seinem Pelz, wenn er es streifte. Die Sonne schien durch die Bäume, Flecken aus Licht bewegten sich, wenn die Äste in der sachten Brise schwankten. Der Duft nach frischem Grün und saftiger Beute in der Nähe erfüllte die Luft des Waldes.

Aber dann blickte Graustreif um sich und überlegte, wo genau er eigentlich war. Bin ich noch auf dem DonnerClan- Territorium? Dann wurde ihm bewusst, dass Feuerstern an seiner Seite lief und sich in dieser Gegend vollkommen wohlzufühlen schien.

Feuerstern! Graustreif blickte über seine Schulter und sah die Dornenbarriere, die das jetzige DonnerClan-Lager umgab. Wir sind also im Jetzt, dachte er verwundert. Wir leben beim See. Eichhornschweif muss unsere Anführerin sein. Aber das bedeutet ja …

Während die beiden Katzen Seite an Seite schweigend weiterliefen, wurde ihm plötzlich klar, dass Feuerstern tot sein musste. Sofort wich Graustreifs Erleichterung über den Anblick seines Freundes einer ruhelosen Hoffnung. Graustreif war Ältester, ein einfacher Krieger, keine Heilerkatze und auch kein Anführer … wie konnte es dann sein, dass der SternenClan direkt mit ihm Verbindung aufnahm? Die Katze neben ihm schien so körperlich, so real. Vielleicht darf Feuerstern mir eine Vision schicken, weil wir uns so nah waren. Ich muss gut aufpassen, was er mir zu sagen hat.

Aber kaum hatte Graustreif realisiert, dass er träumte, da verwandelte sich der Wald: Das Sonnenlicht erlosch und die Bäume rückten enger zusammen. Die üppigen Düfte wurden von Krähenfraßgestank verdrängt. Nur Feuerstern schien immer noch echt und lebendig, sein flammend roter Pelz leuchtete, als würde die untergehende Sonne immer noch daraufscheinen.

»Feuerstern, was passiert hier?«, fragte Graustreif.

12. Dezember

Wir wünschen dir einen wunderbaren dritten Advent!

Sein Freund sah ihn nicht einmal an, lief einfach weiter durch den Wald, als könnte er Graustreif weder hören noch sehen. Die Enttäuschung traf Graustreif wie eine kräftige Pfote, die ihn zu Boden drücken wollte. Im Traum neben Feuerstern herzulaufen, löste in Graustreif nur noch größere Sehnsucht nach dem Freund aus.

Dann ist das also keine Vision vom SternenClan, dachte Graustreif. Der echte Feuerstern, der Geist, der bei unseren Kriegerahnen weilt, hätte mir gewiss etwas zu sagen.

Feuerstern setzte seinen Weg unbeirrt fort und Graustreif folgte in seinen Pfotenschritten. Selbst wenn dies nur ein Traum war, konnte es doch sein, dass der Freund ein Zeichen, ein paar kluge Worte für Graustreif hatte, um ihm Mut zu machen, bevor er aufwachte.

Graustreifs Hoffnung schien berechtigt, als Feuerstern schließlich stehen blieb. Graustreif beeilte sich, zu ihm aufzuholen, aber währenddessen hüllte ihn eine Finsternis ein, die alles schluckte, außer der flammenden Gestalt des Freundes. Und obwohl Feuerstern auch weiterhin nicht sprach, spürte Graustreif ein Kribbeln in seinen Pfoten, das von dort aus in jeden Winkel seines Körpers kroch, bis zu den Ohren und zur Schwanzspitze, mit dem ihn der Freund zu drängen schien, er müsse etwas unternehmen.

»Warum willst du mir nicht sagen, was du von mir erwartest?«, miaute er.

Statt einer Antwort drehte Feuerstern den Kopf, starrte in die Dunkelheit und bedeutete Graustreif mit einer ausladenden Schwanzgeste, seinem Blick zu folgen.

Inzwischen war es so dunkel, dass der Wald nicht mehr zu erkennen war, sogar die Bäume in nächster Nähe wurden von der unnatürlichen Finsternis geschluckt. Graustreif hob den Kopf und sah, dass die Sonne und alles, was er vom Himmel sehen konnte, hinter einer schwarzen Wolke verschwunden waren. Und als er den Blick wieder auf den Freund richten wollte, war Feuersterns leuchtende Gestalt ebenfalls verschwunden. Obwohl der Wald um ihn herum nicht kalt war, wurde Graustreifs Herz von einer Kälte gepackt, die seinen Pelz wie eisige Krallen des Entsetzens durchbohrten.

Ich muss hier weg. Ich sollte nicht an diesem Ort sein …

 

Graustreif wachte zitternd auf, fand sich in seinem Nest im Ältestenbau wieder, wo seine Pfoten im Moos und Farn scharrten, als versuche er zu fliehen. Der Schock am Ende seines Traums hielt ihn noch fest im Griff, klebte wie unheimliche Schlingen aus Nebel in seinem Pelz.

Ich muss hier weg, dachte er in einem Anflug von Panik. Er rappelte sich unbeholfen auf die Pfoten, schlüpfte unter den überhängenden Zweigen des Haselstrauchs ins Lager hinaus. Die Sonne schien in den Felsenkessel hinein, oben säuselte ein sanfter, lauer Wind. Weiße Wolkentuffs zogen über den Himmel. Die Lichtung war fast verlassen, und so realisierte Graustreif, dass die Patrouillen schon aufgebrochen sein mussten. Er konnte nur Erlenherz entdecken, der beim Heilerbau Stängel mit Blättern auf einem von der Sonne gewärmten Stein auslegte. Und seine Baugefährten Wolkenschweif und Lichtherz gaben sich beim Frischbeutehaufen die Zunge.

Und doch konnte die friedvolle Szene in der Sonne Graustreifs Ängste kaum besänftigen. Sein Herz pochte, als wäre er über einen Fuchsbau gestolpert, als er durchs Lager sprang und durch den Dornentunnel in den Wald floh.

13. Dezember

Während er unter den Bäumen hin und her tappte, schnellte sein Kopf anfangs immer wieder von einer Seite zur anderen, und sein Blick huschte in jede schattige Lücke und ins dichte Unterholz. Wovor fürchte ich mich eigentlich?, fragte er sich. Dann wurde ihm klar, dass er insgeheim immer noch damit rechnete, dass ihm Feuersterns flammend roter Geist in den Weg sprang, um ihn zu stellen und ihm Vorwürfe zu machen.

»Was bist du nur für ein Mäusehirn!«, knurrte er vor sich hin. »Von Feuerstern habe ich nichts zu befürchten. Wenn er doch nur erscheinen würde! Nichts wäre mir lieber, als alles mit ihm zu besprechen. Dann wüsste ich vielleicht auch, was er von mir erwartet.«

Der leuchtende Geist erschien nicht. Im Wald blieb es still, nur die Blätter rauschten, die Vögel sangen und kleine Beute raschelte im Unterholz. Allmählich beruhigte sich Graustreifs rasendes Herz und er ließ die Luft tief und ruhig in seine Brust strömen.

Aber obwohl das Entsetzen seines Traumes nachließ, konnte er ihn nicht ganz aus seinen Gedanken verbannen. Selbst wenn das keine Vision war, dachte er, muss der Traum doch etwas bedeuten. Ich muss herausfinden, was es ist.

»Feuerstern will also, dass ich etwas unternehme«, murmelte er vor sich hin. »Und er hat mir gezeigt, dass der Wald zu finster ist, um als Katze dort leben. Und dass ich in diesem Wald nicht leben will, wurde mir im Traum ebenfalls bewusst.« Für einige Herzschläge blieb er staunend stehen.

»War es das, was du mir sagen wolltest, Feuerstern? Ich soll den Wald – den DonnerClan – verlassen?«

Wieder schlug Graustreifs Herz schneller, denn dieser Gedanke war ungeheuerlich. Er hatte schon mit der Idee gespielt, wezugehen. Wirklich vorstellen konnte er es sich aber nicht. Eichhornschweif hatte ihn daran erinnert, dass er Feuerstern einst versprochen hatte, den DonnerClan niemals im Stich zu lassen.

Niemals würde ich ein Versprechen brechen, dachte er. Doch wenn mir Feuerstern selbst sagt, dass ich hier nicht hingehöre … heißt das, er entbindet mich von meinem Schwur? Nur warum hat er es dann nicht einfach gesagt? Wenn ich doch nur eine Katze hätte, mit der ich darüber reden kann. Ach, Millie, du fehlst mir so sehr!

Als hätte er sie mit seinem stillen Schrei gerufen, glaubte er, Millie ganz nah bei sich zu spüren. In Gedanken sah er sie vor sich: ihre eleganten Bewegungen, ihr silbern glänzendes, getigertes Fell, die Liebe, die aus ihren blauen Augen sprach. Graustreif fühlte sich beinahe, als müsse er nur den Kopf drehen, um sie zu sehen, obwohl er wusste, dass alles seiner Fantasie entsprungen war.

»Wenn ich dir doch nur alles erzählen könnte, Millie«, murmelte er, ließ sich auf einem weichen Mooskissen nieder und schob die Pfoten unter seine Brust. »Es fällt mir so schwer, alles zu verstehen, was hier passiert, seit ich dich nicht mehr habe, um darüber zu reden. Du hast mir stets geholfen, herauszufinden, was ich tun soll.«

Dann sprich doch mit mir, hörte er im Geiste Millies schlichte Antwort. Und beim SternenClan, hör auf zu jammern!

14. Dezember

Graustreif ließ sich die Traumszene durch den Kopf gehen, als würde er erzählen, was er erlebt hatte. »Es kam mir fast so vor, als wolle Feuerstern, dass ich den Clan verlasse«, erklärte er. »Aber wie kann das sein? Würde er nicht wollen, dass ich hierbleibe und seine Tochter unterstütze, solange sie den Clan anführt?«

Kaum hatte Graustreif die Worte ausgesprochen, da wusste er auch schon, was Millie antworten würde. Vielleicht weiß Feuerstern, dass du dem Clan nützlicher bist, wenn du gehst, hätte sie gesagt. Vielleicht gibt es eine wichtige Aufgabe, die du erfüllen sollst.

»Ich gehöre jetzt zu den Ältesten«, protestierte Graustreif mürrisch. »Für uns gibt es keine wichtigen Aufgaben mehr.«

Bei diesem Gedanken begann er sich zu fragen, ob er an das Versprechen, das er Feuerstern vor so vielen Blattwechseln gegeben hatte, noch immer gebunden war. Vielleicht war es das, was ihm Feuerstern bedeuten wollte. Er war Ältester, für ihn gab es jetzt keine Kriegerpflichten mehr. Und der DonnerClan hatte sich in all den Monden sehr verändert. »Ach, Millie, wenn du mir doch nur sagen könntest, was ich tun soll!«

Seine Gefährtin war immer so pragmatisch gewesen, mit ihrem gesunden Katzenverstand. Warum fragst du nicht die anderen Katzen, was sie davon halten?, hätte sie ihm geraten. Oder wartest ab, ob vielleicht noch etwas geschieht, was dir bei deiner Entscheidung helfen könnte?

»Jetzt miaust du, als wäre ich eine Heilerkatze, die nach Zeichen Ausschau hält«, knurrte Graustreif.

Er stellte sich vor, wie ihn Millie mit der Pfote in die Seite stupste oder ihm mit dem Schwanz übers Ohr schnippte. Krieger halten ständig nach Zeichen Ausschau, würde sie schnurren. Zeichen, ob da unten in dem Bau ein Kaninchen hockt oder eine Maus unter jenem Busch. Zeichen, ob es vor Sonnenhoch regnen wird und sie besser ins Lager zurückkehren sollten. Nicht alle Zeichen schickt der SternenClan.

»Stimmt«, musste Graustreif zugeben. »Aber hier ist die Sache ein bisschen komplizierter als eine Jagdpatrouille.«

Eine verlässliche Antwort hatte er zwar immer noch nicht gefunden, aber nach dem vermeintlichen Zwiegespräch mit seiner Gefährtin fühlte sich Graustreif leichter. Als er das Lager verlassen hatte, war er noch in dem Glauben, er müsste diesen dunklen Weg ganz alleine gehen. Jetzt stand er auf, um zum Felsenkessel zurückzukehren, und hegte wieder Hoffnung, dass seine Pfoten einen Weg finden würden, auch wenn er noch nicht wusste, wohin sie ihn führten.

15. Dezember

Graustreif näherte sich dem Lager, da wehte aus einem Farnflecken frischer DonnerClan-Geruch auf ihn zu und kurz darauf teilten sich die Wedel und Farnpelz erschien. Sein Baugefährte trug Beute im Maul.
Graustreif miaute einen Gruß. »Die Beute läuft wohl recht gut«, fügte er hinzu.

»Ziemlich gut«, nuschelte Farnpelz mit den Schwänzen der beiden Mäuse zwischen den Zähnen. »Ich hatte Lust zu jagen.« Er wollte seinen Weg fortsetzen, aber Graustreif hob eine Pfote, um ihn aufzuhalten. »Farnpelz, kann ich dich kurz sprechen?«, fragte er.

Der Älteste blinzelte überrascht. »Natürlich«, miaute er und ließ die beiden Mäuse fallen.

»Ich könnte deinen Rat gebrauchen«, hob Graustreif an. Während er jetzt nach den richtigen Worten suchte, fühlte er sich unbehaglich, obwohl er wusste, dass Farnpelz genau die richtige Katze war, um ihm zu sagen, was er wissen musste. Er war einmal Graustreifs Schüler gewesen und noch im Alten Wald aufgewachsen. Außerdem kannte er den DonnerClan noch von damals, als Blaustern und später Feuerstern Anführer gewesen waren. »Du erinnerst dich doch sicher an den DonnerClan vor so vielen Blattwechseln«, hob er langsam an. »Als Feuerstern zum Anführer ernannt wurde und wir all die Probleme mit dem ersten Tigerstern hatten.«

»Schon.« Farnpelz klang irritiert. »Ich erinnere mich an ziemlich vieles. Warum fragst du mich gerade jetzt danach?«

»Nun, ich dachte nur … Farnpelz, hast du den Eindruck, dass der Clan noch der gleiche ist wie damals?«

Farnpelz starrte ihn an, jetzt noch verwunderter. »Natürlich ist er das noch«, antwortete er. »Ich verstehe, was du damit sagen willst, Graustreif. Mitten in einer Krise wie dieser, vor allem nachdem wir so viele Clan-Gefährten von damals verloren haben …« Seine Stimme zitterte ein wenig, und Graustreif vermutete, dass er an seine Gefährtin Ampferschweif dachte, die im Großen Kampf getötet worden war, oder an seinen besten Freund Borkenpelz, mit dem er gemeinsam für die Sicherheit des Lagers gesorgt und die Baue abgedichtet hatte.

»Aber ihre Nachkommen leben weiter«, fuhr er mit festerer Stimme fort. »Und selbst wenn Brombeerstern als Anführer anders ist als Feuerstern, er war dennoch ein guter Anführer, bis ihn der Betrüger aus seinem Körper verjagt hatte. Du darfst dich von diesen Problemen nicht entmutigen lassen«, riet er Graustreif und legte seinem Bau-Gefährten dabei für einen Moment die Schwanzspitze auf die Schulter.

Graustreif missfiel die Geste, obwohl er wusste, dass ihn der ehemalige Schüler nur trösten wollte. »Irgendwann legt sich das. So war es immer.«

»Ich bin mir da nicht so sicher«, antwortete er. »Jetzt wird so viel gestritten, vor allem unter den jüngeren Katzen. Manchmal ist mir danach, allem den Schwanz zuzukehren und den Clan zu verlassen.«

»Den DonnerClan verlassen?« Farnpelz sträubte entsetzt das Nackenfell. »Ach, komm schon, Graustreif, das würdest du doch niemals tun!«

Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ich könnte das jedenfalls nicht. Nicht jetzt, wo sie uns alle mehr denn je brauchen.«

»Da hast du wahrscheinlich recht«, murmelte Graustreif. Insgeheim wünschte er sich, er könnte genauso denken oder die Zuversicht seines Clan-Gefährten teilen. Und wenn ich darauf vertraue, was mir Farnpelz sagt, was folgt daraus für meinen Traum? Wie passt das zusammen?

»Natürlich habe ich recht!«, miaute Farnpelz mit fester Stimme. »Wirst schon sehen.« Er nahm seine Mäuse wieder auf und sprang Richtung Lager davon.

Mit einem tiefen Seufzer folgte Graustreif seinen Pfotenspuren.

16. Dezember

Lautes Jaulen alarmierte Graustreif, während er sich dem Lager näherte. Hinter der Dornenbarriere hörte er mindestens zwei Katzen fauchen und knurren.

Beim SternenClan, was kommt denn noch?, fragte er sich. Ist der Betrüger zurückgekehrt? Oder sind es Dachse …?

Graustreif schlüpfte durch den Dornentunnel in den Felsenkessel. Mitten auf der Lichtung sah er Pflaumenstein und Nelkenohr Schnauze an Schnauze voreinander stehen, die Pelze gesträubt und die Ohren angelegt. Sie fauchten so wütend, dass Graustreif fest damit rechnete, sie würden sich jeden Moment aufeinander stürzen.

»He«, miaute er und sprang zu ihnen. »Was ist denn hier los?«

Die feindseligen Gesichter der beiden jungen Kätzinnen schnellten zu ihm herum. »Sie ist eine Verräterin!«, fauchte Pflaumenstein und deutete mit einem Schwanzpeitschen auf Nelkenohr. »Sie hat den DonnerClan verraten!«

»Nein«, knurrte Nelkenohr. »Sie ist es, die unserem Clan Schande macht!«

Beide Katzen gingen in Angriffsstellung. Graustreif schob sich dazwischen und trennte sie voneinander.

»Immer mit der Ruhe«, miaute er. »Was ist denn passiert?«

»Das musst du sie fragen!«, fauchte Nelkenohr. »Sie ist an allem schuld.«

»Nein, bin ich nicht!«, miaute Pflaumenstein schrill zurück, dann wandte sie sich an Graustreif. »Lass dir von ihr erzählen, was sie getan hat.«

»Mir ist es gleich, wer es mir erzählt«, sagte Graustreif, bemüht, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. »Aber eine von euch beiden wird es tun müssen. Oder ist die Angelegenheit so wichtig, dass wir damit zu Eichhornschweif gehen müssen?«

Ihre jetzige Anführerin zu erwähnen, verfehlte ihre Wirkung nicht. Beide Kätzinnen sackten in sich zusammen, starrten auf ihre Vorderpfoten und scharrten am Boden. Einige Herzschläge später flüsterte Nelkenohr: »Sie hat meine Maus gefressen.«

»Das war nicht deine Maus!«, blaffte Pflaumenstein zurück. »Ich habe sie vom Frischbeutehaufen genommen.«

»Stimmt, aber ich wollte sie mir gerade nehmen«, brummte Nelkenohr. »Und dann hat sie mich weggeschubst und sich die Maus geschnappt und verschlungen. Ohne mir auch nur einen Bissen anzubieten!«

17. Dezember

»Das ist der ganze Grund für euren Streit?«, fragte Graustreif kopfschüttelnd. »Eine dumme kleine Maus, obwohl der Frischbeutehaufen so voll ist, wie ich ihn noch nie gesehen habe? Nicht in all meinen vielen Monden? Habt ihr denn beide nichts außer Bienen im Hirn? Was glaubt ihr wohl, was Feuerstern gesagt hätte, wenn ihm zwei Kriegerinnen unter die Augen gekommen wären, die bereit sind, wegen einer Maus mit den Krallen aufeinander loszugehen?«

»Ach so, ja, Feuerstern«, antwortete Nelkenohr. »Damals hatte der DonnerClan noch einen richtigen Anführer!«

Sofort sträubte Pflaumenstein das Nackenfell. »Nimm das zurück!«, knurrte sie. »Eichhornschweif ist eine richtige Anführerin. Und keine Katze könnte ihre Aufgabe besser erfüllen als sie.«

»Genau, und das ist bis jetzt ja auch richtig großartig gelaufen, nicht wahr?«, konterte Nelkenohr mit einem selbstgefälligen Schwanzschnippen.

Pflaumenstein ließ die Krallen ausfahren und spannte erneut die Muskeln an, um sich auf ihre Clan-Gefährtin zu stürzen. Auch diesmal trat Graustreif hastig zwischen die beiden wütenden Kriegerinnen, damit sie sich nicht gegenseitig das Fell ausrissen.

Graustreif konnte sich nicht vorstellen, wie eine Kleinigkeit wie diese so sehr eskalieren konnte, dass zwei Clan-Gefährtinnen bereit waren, aufeinander loszugehen und sich gegenseitig des Verrats zu bezichtigen. So weit ist es schon mit uns gekommen?

»Es ist gut, dass ihr eure eigenen Ansichten vertreten könnt«, fuhr er fort. »Das ist wichtig für unseren Clan, aber ihr müsst beide aufhören, überall Angriffe zu sehen. Der DonnerClan muss gemeinsam hinter Eichhornschweif stehen, damit wir uns nicht für immer auflösen.« Wieder musste er an das Versprechen denken, das er Eichhornschweif gegeben hatte, und fragte sich, ob er es auch erfüllen konnte. Wie soll ich ihnen klarmachen, dass der Clan wichtiger ist als jeder seiner Anführer? Seine Gedanken flogen zu einer Begebenheit bei den Sonnenfelsen zurück, einem Streit, bei dem zwei Krieger zu sehr mit sich beschäftigt waren, um ihren Clan gegen einen FlussClan-Angriff zu verteidigen. Daraus könnten unsere jungen Krieger lernen. »Als Feuerstern noch Anführer war …«, hob er an.

Pflaumenstein blickte auf, funkelte ihn an und zeigte die Zähne. »Immer dasselbe mit den Ältesten«, miaute sie hämisch. »Sie stecken alle in der Vergangenheit fest! Zurückblicken bringt den DonnerClan jetzt auch nicht weiter. Wir brauchen keinen Ratschlag aus irgendeinem längst vergangenen Mond. So läuft das jetzt nicht mehr.«

»Stimmt«, bestätigte Nelkenohr und bedachte Graustreif mit demselben verächtlichen Blick. »Feuerstern ist nicht mehr unser Anführer. Und wir können ihn nicht mehr fragen, selbst wenn wir das wollten! Der SternenClan hat uns verlassen. Unsere Ahnen sind weg, und wir müssen herausfinden, wie wir ohne sie überleben können.«

»Da hast du recht«, miaute Pflaumenstein. »Wir müssen nach vorn blicken. Die alten Ratschläge funktionieren nicht mehr und wenn wir jetzt immer noch daran festhalten wollen, dann müssen unsere Köpfe wohl mit Distelwolle verstopft sein.«

18. Dezember

»Soll das heißen …«, hob Graustreif an und seine Schwanzspitze zuckte trotz aller Bemühungen, seinen aufkommenden Zorn zu unterdrücken.

»Sie will damit sagen, dass deine Monde vorbei sind.« Nelkenohr stieß ihm die Schnauze vors Gesicht. »Jetzt haben die Krieger das Sagen, nicht die Ältesten. Komm mit, Pflaumenstein, wir haben Wichtigeres zu tun.«

Die beiden jungen Katzen wirbelten herum und stolzierten Seite an Seite davon, Pelz an Pelz kehrten sie zum Frischbeutehaufen zurück.
»Ich finde bestimmt auch eine leckere Maus für dich«, versprach Pflaumenstein.

Nun … wenigstens haben sie aufgehört zu streiten, dachte Graustreif bitter. Und doch hatten sie ihn verletzt. Während er ihnen nachsah, fühlte sich Graustreif fast wie ein Geist, eine Katze, die nicht mehr zu den Lebenden zählte, obwohl sie noch gar nicht gestorben war. Sie sagen, Feuersterns Monde seien vorüber. Und welche Katze kann ihnen da schon widersprechen?

Genauso fühlte er sich. Es waren die Selbstzweifel, die dafür verantwortlich waren, dass er sich fragte, ob er Eichhornschweif überhaupt helfen konnte. Es fühlt sich so an, als wären wir jetzt ein anderer Clan.

Und als er sich zu Boden sinken ließ, schob sich eine Wolke vor die Sonne, warf ihren Schatten über das Lager und erinnerte ihn an den Wald aus seinem Traum.

Vielleicht sind meine Ratschläge zu veraltet für den modernen DonnerClan, dachte er mit einem Frösteln. Vielleicht hatte er seinen Traum ganz richtig gedeutet: Dieser Ort war nicht mehr der richtige für ihn.

Vielleicht ist dies tatsächlich ein Zeichen … ein Zeichen, dass der DonnerClan ohne mich besser dran wäre.

19. Dezember

Weihnachten naht mit großen Schritten! Einen wunderbaren vierten Advent!

In jener Nacht schlief Graustreif schlecht und wachte schon wieder auf, als sich das erste Morgenlicht am Himmel zeigte. Aber er war so tief in Gedanken, durchlebte die Ereignisse des vergangenen Sonnenaufgangs wieder und wieder, dass es eine Weile dauerte, bis er bemerkte, dass im Lager irgendein Tumult vor sich ging. Er rappelte sich auf die Pfoten, zuckte zusammen, weil seine alten Gelenke knirschten, und schlurfte ins Freie.

Auf den ersten Blick schien es, als hätte sich der gesamte DonnerClan auf der Lichtung versammelt. Als er vorwärts tappte, sah er Löwenglut und Dornenkralle angriffslustig voreinander stehen. Stachelfrost, Ampferstreif, Schnipskralle, Schnappzahn und etliche andere DonnerClan-Katzen umringten sie. Eine Spannung wie vor einem Gewitter hing in der Luft.

Löwenglut und Dornenkralle standen steifbeinig, mit peitschenden Schwänzen und gesträubten Nackenfellen da. Sie sahen aus, als würden sie jeden Moment aufeinander losgehen. Graustreifs Pelz kribbelte alarmiert. Löwenglut und Dornenkralle waren erfahrene Krieger, die sich nicht wie Pflaumenstein und Nelkenohr wegen Albernheiten streiten würden. Ihnen ist sogar zuzutrauen, dass sie sich gegenseitig verletzen!

Er spähte zu Eichhornschweifs Bau hinauf, aber die Anführerin des Clans war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich ist sie gar nicht im Lager, dachte Graustreif. Dieser Aufruhr kann ihr unmöglich entgangen sein.

Graustreif spitzte die Ohren. »… dass wir wie Fische auf dem Trockenen zappeln, dabei müssten wir wissen, was zu tun ist«, brummte Dornenkralle.

»Woher sollen wir das wissen?«, fragte Löwenglut entrüstet. »Einen Anführer, der zwischen Leben und Tod festsitzt, gab es bislang noch bei keinem Clan.«

»Eben! So etwas darf es auch nicht geben. Unser Anführer gehört hier zu uns, damit er uns anführen kann.«

»Was meinst du damit?« Löwenglut schien verwirrt.

Dornenkralle ignorierte die Frage. »Ein Clan ohne einen ordentlichen Anführer ist kein Clan«, erklärte er schroff.

»Wir haben doch Eichhornschweif!«

»Sie ist unsere Zweite Anführerin.«

Löwengluts Augen funkelten noch wütender und er stieß dem goldbraun getigerten Kater die Schnauze vors Gesicht, bis er Dornenkralles Nase fast berührte. »Noch bin ich Zweiter Anführer!«, knurrte er.

»Und deshalb gefällt dir die Situation auch so gut, wie sie ist«, knurrte Dornenkralle zurück. »Vor einem Mond warst du ein Krieger wie wir anderen auch.«

Zweigast tappte entschlossen nach vorn, fauchte Dornenkralle an, aber Graustreif war inzwischen so entrüstet, dass er nicht mitbekam, was sie miaute. Dornenkralle mag Zweigblatts Vater sein und Gefährte meiner Tochter Blumenfall, aber im Moment zählt seine Trauer nicht – er benimmt sich wie eine Katze mit Bienen im Hirn.

Graustreif bezwang seinen Ärger und tappte zu der Katzenversammlung. Dornenkralle und Löwenglut hatte Zweigast weggestoßen, weshalb sie sich mit einem entmutigten Schnauben zurückzog. Hummelstreif hatte auch versucht, sich zwischen die streitenden Katzen zu drängeln, erntete aber auch nur böse Blicke.

»… dass du entscheiden darfst, weil du mit Eichhornschweif verwandt bist«, fauchte Dornenkralle zu Löwenglut.

Dieser Vorwurf verursachte ein unbehagliches Grummeln in Graustreifs Bauch, und er sah an den gekräuselten Pelzen und besorgten Blicken seiner Clan-Gefährten, dass die meisten sein Unbehagen teilten.

Löwenglut peitschte schon wieder mit dem Schwanz.

»Nimm das zurück!«, fauchte der Zweite Anführer.

20. Dezember

»Wie kann ich etwas zurücknehmen, wenn es doch stimmt?«, entgegnete Dornenkralle. »Schon zu Feuersterns Lebzeiten stand fest, wer der
nächste DonnerClan-Anführer wird.«

»Beim DonnerClan hat immer der Zweite Anführer die Nachfolge des Anführers angetreten, wie es das Gesetz der Krieger verlangt!«, wies ihn Löwenglut mit scharfer Stimme zurecht.

»Dann ist es also nur ein Zufall, dass Feuerstern den Gefährten seiner Tochter zum Zweiten Anführer ernannt hat?«, fuhr Dornenkralle fort.

Löwenglut bohrte seine Krallen in den Boden. »Brombeerstern war der stärkste Krieger des DonnerClans!«

»Und Brombeerstern hat seine Gefährtin zur Zweiten Anführerin ernannt«, fuhr Dornenkralle fort. »Und jetzt …«

»Sie hatte die Ernennung zur Zweiten Anführerin verdient!«

Dornenkralle überjaulte ihn. »Und jetzt ist wieder jemand aus Feuersterns Familie – eine Katze, die Eichhornschweif und Brombeerstern wie ihr eigenes Junges großgezogen haben – Zweiter DonnerClan-Anführer. Sollen wir glauben, dass es bei diesem Clan nur eine Familie gibt, die Junge mit dem Talent zum Anführer hervorbringt? Und der Rest von uns ist nur dazu da, sich von ihnen herumkommandieren zu lassen? Wen wirst du zu deiner Nachfolge ernennen? Funkenpelz? Flammenpfote?«

In diesem Punkt konnte ihm Graustreif nicht widersprechen. Vielleicht war es tatsächlich seltsam, dass eine Familie seit so vielen Blattwechseln den DonnerClan anführte. Allerdings missfiel ihm, dass Dornenkralle so darüber miaute, als wäre das eine bewusste Entscheidung, um andere Katzen auszuschließen. Außerdem war offensichtlich, dass Dornenkralle glaubte, er hätte an Löwengluts Stelle zum Zweiten Anführer ernannt werden sollen.

Graustreif überraschte das nicht: Dornenkralle war ein starker, erfahrener Krieger und wäre ein guter Zweiter Anführer geworden.

Wenn Löwenglut das doch nur erkennen und sich beruhigen würde!

Danach sah es jedoch ganz und gar nicht aus.

»Warum willst du den Clan unbedingt aufhetzen?«, miaute er herausfordernd und sah Dornenkralle wütend an. »Haben wir nicht schon genug Sorgen?«

»Sollen wir dir blind vertrauen, ohne Fragen zu stellen?«, knurrte Dornenkralle aus tiefer Kehle. »So wie wir Brombeerstern vertraut haben?«

»Ihr sollt keiner Katze blind vertrauen …«

Dornenkralle stieß die Schnauze vor. »Weil wir unseren Anführern blind vertraut haben, sind wir überhaupt erst in diese Schwierigkeiten geraten. Weil wir Brombeerstern vertraut haben, konnte der Betrüger mondelang mit seinen Verbrechen davonkommen! Und hätte den DonnerClan beinahe zerstört.«

Löwengluts Augen blitzten hell vor Zorn. »Es sind Krieger mit Federn im Hirn, die grundlos Streit anfangen, die den DonnerClan jetzt zerstören können!« Er setzte eine Pfote vor und Dornenkralle ließ die Krallen ausfahren. »Krieger wie du!«, fauchte er.

Dornenkralle antwortete mit einem Fauchen und machte einen Buckel. Graustreif konnte kaum ertragen, dass so etwas beim DonnerClan geschah: Zwei Clan-Gefährten waren kurz davor, mitten im Lager aufeinander loszugehen. Nein, das ist nicht der Clan, den ich zu kennen glaubte.

Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da schlug seine Traurigkeit so plötzlich in Wut um, dass er wegsehen und die Zähne zusammenbeißen musste, um nicht selbst mitzustreiten.

Diese Katzen werden den Clan zerstören, weil sie nicht erkennen, dass sie auf derselben Seite stehen, dachte er. Löwenglut
als Zweiter Anführer sollte die Unstimmigkeiten klären, anstatt sie
schlimmer zu machen! Wird der DonnerClan wirklich daran zerbrechen?

21. Dezember

Als er wieder hinsah, stellte er fest, dass sich Stachelfrost mit Verzweiflung in den Augen zwischen die beiden Krieger gestellt hatte und von Dornenkralle angefaucht wurde, sie solle sich raushalten.

Dann zog eine Bewegung seinen Blick zum Ausgang des Dornentunnels. Eichhornschweif und ihre Patrouille waren zurückgekehrt. Die Anführerin ließ sofort ihre Beute fallen und sprang zur Mitte der Lichtung, wo sich Löwenglut und Dornenkralle noch immer anfunkelten.
»Was geht hier vor?« Ihr Blick schnellte von Dornenkralle zu Löwenglut.

Eichhornschweif wird dieser Sache ein Ende bereiten, dachte Graustreif. Und realisierte fast sofort, dass er zu optimistisch gewesen war.

»Dornenkralle stellt die Auswahl der DonnerClan-Anführer infrage«, knurrte Löwenglut.

»Was meint Löwenglut damit?«, erkundigte sich Eichhornschweif mit kalten, grünen Augen bei Dornenkralle.

»Das kann ich dir gern erklären.« Der getigerte Kater blieb beharrlich. »Wenn wir unseren Anführer etwas früher infrage gestellt hätten, wäre uns vielleicht eine Menge Ärger erspart geblieben.«

Graustreif sah, dass Eichhornschweif bei seinen Worten noch wütender wurde. Sie war Zweite Anführerin gewesen, als der Ärger begann, und ganz offensichtlich warf er ihr vor, sie hätte zugelassen, dass der Betrüger den Clan kontrollieren konnte. »Es hat keinen Sinn, darüber nachzudenken, was wir hätten tun sollen«, miaute sie streng. »Wichtig ist, wie wir weitermachen. Und gerade jetzt muss der DonnerClan zusammenhalten. Bis wir einen Weg finden, Brombeerstern zurückzuholen, müssen wir einander vertrauen.«

Dornenkralle schnaubte. »Daran hast du wohl nicht gedacht, als du deinen Clan verlassen hast.«

»Ich habe meinen Clan nie verlassen«, antwortete Eichhornschweif schroff. »Ich hatte keine andere Wahl, als zu gehen …«

Schweren Herzens musste Graustreif mitanhören, dass sich Eichhornschweif auch noch verteidigen musste. Er spürte, wie sich Anspannung und Furcht wie Wellen in einem Teich im Clan ausbreiteten. Weil wir unseren Anführer verloren haben, sagte er sich. Brombeerstern steckt zwischen den Welten fest – keine Katze weiß, wann oder ob er wieder zurückkehrt! Natürlich fällt es uns nicht leicht, einen neuen Anführer zu akzeptieren. Weder er noch seine Clan-Gefährten konnten wissen, ob Brombeerstern als Geist noch lebte. Ein junger WolkenClan-Krieger hatte ihn am See gesehen, aber das war schon eine Weile her. Was Brombeerstern zugestoßen war, war so seltsam, dass Graustreif kaum noch mitkam. Klar war nur, dass der Verlust des Anführers den Clan zerriss.

»Wenn wir nur Kontakt zum SternenClan aufnehmen könnten«, wandte sich Zweigast gerade an Häherfeder. »Dann würden wir vielleicht erfahren, ob unsere Pfoten auf dem richtigen Weg sind. Und könnten alle ein wenig aufatmen.«

Bislang hatte sich Häherfeder nicht an der Diskussion beteiligt. Jetzt zuckten seine Schnurrhaare verärgert. »Glaubst du, wir hätten es nicht versucht?«, miaute er barsch. »Was soll ich deiner Meinung nach tun? Zu den Sternen hinauffliegen und sie an ihren Schwänzen herabziehen?«

»Wir können nichts weiter tun, bis sie bereit sind, sich wieder mit uns die Zunge zu geben«, miaute Erlenherz etwas versöhnlicher.

»Was nützen uns Kriegerahnen, die nur auftauchen, wenn ihnen danach ist?«, miaute Schnappzahn missmutig und startete damit eine neue Diskussion unter den DonnerClan-Katzen.

»Genau, kannst du dich nicht irgendwie zum SternenClan träumen oder so?«

»Vielleicht kommen sie ja nie zurück?«

22. Dezember

Graustreif machte die Augen zu, während um ihn herum Proteste und Fragen kreisten. Häherfeders Sarkasmus hatte die Situation nicht besser gemacht. Trotzdem musste Graustreif zugeben, dass er die Zweifel einiger Clan-Gefährten teilte. Er wollte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn der SternenClan niemals zurückkehrte.

Und doch …

»Wenn uns unsere Kriegerahnen im Stich gelassen haben«, miaute Schnipskralle gerade, »warum folgen wir dann noch Traditionen, die sie sich ausgedacht haben? Wir leben nicht einmal mehr in den Wäldern, in denen sie zur Welt gekommen sind. Wir können unsere eigenen Gesetze schaffen, die zu unserem neuen Leben am See passen.«

Lilienherz starrte ihn mit großen Augen an. »Glaubst du wirklich, das Gesetz der Krieger sollte verändert werden?«

»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, antwortete Schnipskralle. »Aber vielleicht ist die Abwesenheit des SternenClans die perfekte Gelegenheit, um herauszufinden, woran wir glauben?«

Obwohl auch er sich gefragt hatte, wie es ohne den SternenClan weitergehen sollte, schockierten Graustreif die Worte des jungen Kriegers.

Schnipskralle akzeptierte nicht nur, dass sie auf die Führung ihrer Kriegerahnen künftig verzichten müssten – er ging auch davon aus, dass der Clan ihre Hilfe nicht mehr brauchte.

Noch mehr verblüffte Graustreif, dass mehrere Katzen Schnipskralles Meinung offensichtlich teilten. Das darf nicht sein, sagte er sich, denn er hielt daran fest, was er zeit seines Lebens geglaubt hatte. Ein Clan kann nicht ohne die Führung seiner Ahnen leben … und ich will es auch nicht. Ach, Feuerstern, was soll werden, wenn ich nie mehr mit dir sprechen kann … oder mit Silberfluss oder all den anderen Katzen, die ich geliebt und verloren habe? Wozu wäre der DonnerClan dann überhaupt noch da?

Das erinnerte ihn daran, wie er Feuerstern zum letzten Mal begegnet war … oder vielmehr von ihm geträumt hatte. Der verstörende Traum kehrte zurück, und dazu alle Zweifel, die dadurch ausgelöst wurden. Vielleicht gehöre ich nicht mehr in den Wald. Vielleicht war das meine allerletzte Begegnung mit Feuerstern … Und vielleicht wollte er mir genau das sagen.

»Ich bin so froh, dass ich Krieger bin«, miaute Schnipskralle inzwischen. »Ich würde sterben, um meine Clan-Gefährten zu schützen. Aber nach allem, was mit dem falschen Brombeerstern passiert ist, muss ich darüber nachdenken dürfen, was einen Krieger wirklich ausmacht.«

Er sah Eichhornschweif in die Augen. »Ich glaube, das gilt für uns alle.«

»Ich weiß sehr wohl, was einen Krieger wirklich ausmacht«, knurrte Eichhornschweif, ihr grüner Blick durchbohrte den jungen Kater.

Schnipskralle holte tief Luft. »Dann muss ich mich wohl aufmachen«, miaute er. »Um allein nachzudenken und dann zu entscheiden, ob ich zum DonnerClan zurückkehren will. Vielleicht finde ich ein besseres, weniger gefährliches Territorium, in dem ich leben will. Vielleicht ist es für uns alle an der Zeit, anders zu leben als in Clans.«

Graustreifs Pelz fing vor Entsetzen an zu kribbeln, während in der Versammlung mehrere Katzen ungläubig nach Luft schnappten. Hat er das wirklich gerade gesagt? Und doch war ihm klar, dass dies die einzig logische Konsequenz dessen war, was Schnipskralle gerade gesagt hatte. Wozu war ein Clan da, wenn es keine Ahnen gab, die ihn leiteten? Graustreif spürte den Schmerz in seiner Brust, als hätte ihn ein spitzer Ast aufgespießt. Wozu soll ich zu meinem Versprechen stehen, wenn der DonnerClan sowieso untergeht, mit oder ohne mich?

»Schnipskralle, das meinst du doch nicht ernst!«, jaulte Stachelfrost entrüstet und funkelte ihren Bruder an.

»Vielleicht doch«, warf Schnappzahn ein. »Und vielleicht teile ich seine Meinung.«

»Dann müsst ihr wohl beide gehen.« Eichhornschweif schnippte verärgert mit dem Schwanz.

Dornenkralle tappte zu Schnipskralle und stellte sich neben ihn. Das Fell auf seinen Schultern war jetzt glatt, seine Wut auf Löwenglut schien verflogen und seine Stimme war leise, aber dennoch klar und deutlich in jeder Ecke des Lagers zu hören. »Ich will auch nicht so weitermachen.«

Einige Katzen jaulten protestierend auf, und Graustreif konnte verstehen, warum. Die jungen Krieger ließen sich leicht ignorieren, egal, wofür sie sich entschieden. Aber Dornenkralle war kein rebellischer junger Krieger mit schwindenden Illusionen über die Lebensweise seines Clans; er war ein geachteter, erfahrener Krieger.

»Ich ebenso wenig«, ergänzte Fliegenbart und gesellte sich zu ihren Gefährten.

Schnappzahn bahnte sich seinen Weg durch die aufgebrachten Katzen zu seinem Wurfgefährten. »So wie ich.«

23. Dezember

»Wie wäre es, wenn wir uns alle etwas Zeit lassen würden, um uns zu beruhigen?« Löwenglut war zu Eichhornschweif getreten, seine Bernsteinaugen wanderten flehend zwischen ihr und seinen Jungen hin und her. »Eine Entscheidung wie diese sollte kein Krieger mit leichter Pfote treffen.«

Graustreif konnte sich vorstellen, wie enttäuscht der Zweite Anführer sein musste, weil zwei seiner Jungen den Clan verlassen wollten, der ihm so sehr am Herzen lag. Aber weder Schnipskralle noch Schnappzahn wollten auf ihn hören.

»Wir machen es uns nicht leicht«, antwortete Schnappzahn. »Wir nehmen das hier sehr ernst. Deshalb müssen wir gehen – wir brauchen einen Ort für uns, an dem wir nachdenken können!«

Graustreif stand eine Weile reglos da, nahm die Eindrücke seiner Clan-Gefährten auf und hörte den Protesten der Katzen zu, die Dornenkralle und die anderen zum Bleiben überreden wollten. Vor allem Stachelfrost schien der Gedanke sehr mitzunehmen, dass ihr Bruder Schnipskralle seine Pfoten auf einen Pfad gesetzt hatte, der von ihrem gemeinsamen Clan wegführte.

Graustreif musste wieder daran denken, was er Eichhornschweif versprochen hatte. Er spürte immer deutlicher, dass für ihn der Zeitpunkt gekommen war, die Stimme zu erheben. All die vielen Erfahrungen seines Lebens beim DonnerClan, von damals, als die Welt nicht so leer schien wie jetzt, würden ihm sicher die richtigen Worte eingeben: Worte, mit denen er die jungen Krieger umstimmen und ihre Loyalität auffrischen würde. Es musste ihm doch gelingen, das Schlimmste zu verhindern – für Eichhornschweif!

Er hob den Kopf und wollte gerade anfangen zu sprechen, als er sah, wie Blumenfall mit großen, ungläubigen Augen zu ihrem Gefährten aufblickte. »Falls ich beschließe, für immer zu gehen«, miaute Dornenkralle leise, »komme ich noch einmal zurück, um mich zu verabschieden.«

Graustreif rang nach Worten. Als seine Augen über die verwirrten Gesichter seiner Clan-Gefährten wanderten, erschrak er, weil sie ihm alle so entsetzlich jung vorkamen. Er erinnerte sich an seine Diskussion mit Pflaumenstein und Nelkenohr vom vergangenen Sonnenaufgang, die ihn vor die Frage gestellt hatte, ob es für ihn eigentlich noch eine sinnvolle Aufgabe bei seinem Clan geben würde. Ich bin nur Ältester, nur noch ein Maul, das gestopft werden muss … junge Katzen wollen nichts hören von all dem, was ich ihnen zu sagen habe. Und vielleicht halte ich sie wirklich mit meinen Erinnerungen an früher auf.

Es ist besser, wenn ich gehe. Die Worte kamen ihm in den Sinn, und ihm war, als wäre die Sonne hinter einer Wolke hervorgekommen. Obwohl er genauso schockiert war wie alle anderen Clan-Katzen, fühlte er sich auch auf seltsame Art und Weise erleichtert. Er könnte seinen Clan-Gefährten erzählen, was er von Kriegern halten sollte, die den Clan verlassen wollen – dass es falsch war, eine schlechte Idee –, aber im Grunde glaubte er das gar nicht. Er hatte eine Weile mit seiner Position im Clan gehadert, hätte aber nie geglaubt, dass er jemals den Mut finden würde, aufzustehen und zu gehen. Nicht, nachdem er dem DonnerClan so viel von seinem Leben gegeben hatte. Aber jetzt wusste er, dass es richtig war, was er in seinem Traum von Feuerstern gespürt hatte, trotz seines Versprechens an Eichhornschweif: Er war hier nicht mehr am richtigen Ort. Vielleicht wäre es falsch, für immer zu gehen – aber vielleicht musste er fortgehen, um es wirklich zu wissen. Diese neue Idee, sich aufzumachen, auf eine Art »Wanderschaft« zu gehen, war vielleicht genau das, was er brauchte, um sich die Zeit zu nehmen, seine Fragen zu beantworten.

Langsam tappte er nach vorn, durch die Menge seiner Clan-Gefährten, die ihm Platz machten, bis er vor Eichhornschweif stehen blieb. »Ich werde mit ihnen gehen«, miaute er leise.

Er wusste sehr wohl, dass er dem gesamten Clan einen Schock versetzte. Die älteren Krieger wussten, was ihm der DonnerClan bedeutete, das war ihm klar. Die Vorstellung, er könnte seinen Clan jemals verlassen, musste sie zutiefst verstören. Natürlich rechneten sie nicht damit, dass Graustreif gehen wollte. Er hörte den einen oder anderen ungläubigen Kommentar.

»Erst Dornenkralle – jetzt auch noch Graustreif!«

»Von allen Katzen, die den Clan verlassen, hätte ich zuallerletzt an Graustreif gedacht.«

Eichhornschweif starrte ihm in die Augen, eine Mischung aus Schock und Trauer und dem Gefühl, verraten worden zu sein, lag in ihrem grünen Blick. »Du hast zu mir gesagt, du würdest mir immer zur Seite stehen«, miaute sie heiser. »Du hast gesagt, ich könnte auf dich zählen.«

Graustreif senkte den Kopf. Schuldgefühle brachen über ihn herein. Er hatte Eichhornschweif keineswegs kränken wollen, aber er verstand erst jetzt, was ihm nicht klar gewesen war, als er ihr sein Versprechen gab. Ich kann hier nichts tun, wenn ich von Katzen umgeben bin, die mich stets daran erinnern, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war – auch wenn ich es mir noch so sehr wünsche. »Es tut mir leid. Ich kann mein Versprechen nicht halten.«

»Aber warum?« Eichhornschweif stand da wie eine Katze aus Eis. »Du hast meinem Vater geschworen, den DonnerClan niemals zu verlassen – oder hast du das vergessen?«

»Zu vieles hat sich verändert«, erklärte Grausteif. »Ich habe so viel mit dem DonnerClan durchgemacht: die Zerstörung des alten Waldes, meine Entführung und mein Leben als Hauskätzchen, bis ich zu euch zurückgefunden habe. Aber dieser DonnerClan, den ich heute hier sehe, ist ein anderer als der, dem ich unter Feuerstern gedient habe. Ich weiß nicht mehr, ob ich noch hierhergehöre. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«

Eichhornschweif trat zurück, ließ den Blick über alle Katzen wandern, die verkündet hatten, dass sie gehen wollten.

»Wenn das euer Wille ist«, miaute sie, »dann mögen euch meine guten Wünsche begleiten. Ihr habt euch entschieden, und ich werde nicht versuchen, euch aufzuhalten.« Und dann lag eine Drohung in ihrer Stimme. »Aber vergesst nicht, dass sich ein Krieger um seinen Clan kümmert. Wenn ihr geht, lasst ihr eure Clan-Gefährten im Stich. Ich werde das einen Mond lang dulden, aber wenn ihr bis dahin nicht zurückgekehrt seid, dann braucht ihr gar nicht mehr wiederzukommen.«

Graustreif neigte demütig den Kopf, dann wandte er sich ab und lief Richtung Dornentunnel. Er hörte die Pfotenschritte der vier Katzen, die ihm folgten. Eichhornschweifs Vorwurf, weil er sein Versprechen gebrochen hatte, hallte noch in seinen Ohren nach, und irgendwo tief in seinem Inneren ließ ihn der Gedanke an alles, was er zurückließ, jaulen wie ein verlassenes Junges. Er blickte ein letztes Mal über seine Schulter, dann verschwand er im Dornentunnel.

Ob ich mein Zuhause jemals wiedersehen werde? Ist dies ein Abschied für immer?

Als er in den Wald eintauchte, flogen seine Gedanken wie Zugvögel weit und viele Monde zurück, zum Anfang jenes Versprechens, das er gerade gebrochen hatte.

 

Hier endet die Geschichte im diesjährigen Adventskalender. Wie es in »Graustreifs Versprechen« weitergeht, erfahrt ihr in der nächsten Blattfrische.

Psst: Morgen wartet eine besondere Überraschung auf euch … 

24. Dezember

Hier wird das Weihnachts-Gewinnspiel gezogen.